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Zwischen Tierschutz und Algorithmen

TikTok, YouTube, nebenbei ein bisschen Instagram – Mary ist auf vielen Plattformen aktiv. Jeden Tag wird Content geplant, gefilmt, geschnitten und bearbeitet. Gegenstand ihrer Inhalte sind jedoch nicht die neuesten Mode-Trends, Reisetipps oder vegane Backrezepte. Es sind neugeborene Katzen.

Von Jasmin Knieling

„It’s good mornings!“ Mit diesem Satz beginnen viele von Marys Videos, meist begleitet von dem schrillen Miauen kleiner Katzen. Auf ihrem TikTok-Account „fortheloveofkittenrescue“ zeigt Mary ihre tägliche Routine als Pflegemutter von mehreren Katzenbabys: Essen verteilen, Flasche geben, die Schützlinge sauber halten. Knapp 600.000 Abonnenten verfolgen den Weg der Neugeborenen bis zu ihrer Adoption. Doch wie kommt man dazu, eine Tierschutz-Influencerin zu werden? Wie sieht so ein Leben aus? Genau darüber habe ich mit ihr gesprochen.

Kommen eine Neurobiologin, eine Gewichtheberin und eine Tierschützerin in eine Bar…

Es ist das Jahr 2018, und Mary schreibt an ihrer Dissertation im Bereich Neurobiologie. Der Druck ist hoch und das tägliche, einsame Schreiben setzt ihr mental stark zu. „Ich wollte, dass es vorbei ist, ich wollte nie wieder daran denken. Auch heute denke ich nur noch selten daran. Es war einfach furchtbar“, erzählt mir Mary über diese Zeit. Etwas Ablenkung findet sie auf dem YouTube-Kanal von „Kitten Lady“, Hannah Shaw im echten Leben. Dort zeigt die Amerikanerin ihren knapp 1,4 Millionen Abonnenten, wie man sich um verwaiste Babykatzen kümmert. Mary ist davon begeistert und beginnt, sich selbst im lokalen Tierschutzverein zu engagieren und Katzen bei sich zuhause aufzuziehen. Schließlich gründet sie eine eigene Tierschutzorganisation, um sich zusammen mit Freiwilligen noch besser um Neugeborene kümmern zu können: „Miss Dixie’s Kitten Rescue“.

Mary ist unter dem Namen “fortheloveofkittenrescue” bei TikTok, YouTube und Instagram aktiv.
Bild: Mary

Es gibt noch eine weitere wichtige Facette in Marys Leben: Sie ist leidenschaftliche Gewichtheberin und zertifizierte Ernährungsberaterin. Gemeinsam mit einer Freundin veröffentlichte Mary bis 2021 wöchentlich den Podcast „Empowered by Iron“ (später „Female Strength Academy“) und teilte dort ihr Know-how mit den Zuhörer:innen. Obwohl sie so schon sehr viel Erfahrung im Bereich Social Media gesammelt hatte, war der Gedanke, einen TikTok-Account für ihre Tierschutzorganisation zu starten, eher ein Zufall. „Sehr seltsame Sache, aber im November 2020 habe ich meine Wand gestrichen und ein Video davon gepostet. Das Video ging absolut viral.“ Beeindruckt von der Dynamik der Plattform wollte sie diese auch für ihre Organisation nutzen: Sie hoffte auf mehr Spenden und eine schnellere Vermittlung der Katzen. „Mein Hauptziel war es, Kätzchen zur Adoption zu bringen und das hat funktioniert… Es hat aber noch so viel mehr bewirkt.“

Regelmäßig bekommt Mary Kommentare und Nachrichten von Menschen, die von ihr inspiriert wurden, sich selbst im Tierschutz zu engagieren: Sei es, eine streunende Katze zu fangen und tierärztlich versorgen zu lassen, Pflegekatzen aufzunehmen oder Katzen aus dem Tierheim zu adoptieren. „Und es ist nicht nur meine Community, die sich für Tiere einsetzt! Ich bin vernetzt mit anderen TikTokern mit Katzen-Communities und wir unterstützen uns alle gegenseitig, wenn jemand Hilfe braucht.“

Das Beste daran, ihre Arbeit auf Social Media zu teilen?  „Zu beobachten, wie das, was man tut, das Leben anderer Menschen beeinflusst und verändert. Das hätte ich nie erwartet.“

Dass das Social-Media-Business jedoch auch Nachteile hat, musste Mary schnell lernen: „Ich glaube, in den ersten sechs Monaten hat mich das sozusagen aufgefressen. Alles, woran ich jeden Tag gedacht habe, abgesehen von der Organisation, war, welche Inhalte ich posten könnte, welches Video gut ankommen würde, wie ich versuchen könnte, ein bisschen zu wachsen, um gesehen zu werden.“ Mittlerweile fühlt sie sich etwas sicherer, da sie eine loyale Community aufgebaut hat, die regelmäßig einschaltet, um ihre Posts zu sehen. Trotzdem hängt viel von ihrem Erfolg in den sozialen Netzwerken ab: Für „Miss Dixie’s Kitten Rescue“ und die Katzen, aber auch für Mary selbst. Da sie sich in Vollzeit um ihre Organisation kümmert, stellen YouTube, TikTok und ihr Merchandise wichtige Einnahmequellen für Mary dar – Spenden gehen direkt an die Organisation und damit in die Pflege der Katzen.

Neugeborene Katzen, bei denen die Mutter nicht zur Stelle ist, müssen im Abstand von wenigen Stunden mit der Flasche gefüttert werden.
Bild: Unsplash

Mary ist sehr bewusst, dass sie sich an die ungeschriebenen Spielregeln der Plattform halten muss, um mit ihrem Account erfolgreich zu sein: „TikTok ist eine Unterhaltungsplattform – wenn du nicht unterhaltsam bist, werden dir die Leute nicht zuschauen.“ Dabei werfen die kleinen Zöglinge auch mal die Videoplanung über den Haufen. „Ich höre auf, Videos zu drehen, wenn ich mich voll und ganz auf ein Kätzchen konzentrieren muss, denn das hat immer oberste Priorität. Wenn ich dabei filmen kann, ist das ein Bonus, aber manchmal kann ich das nicht“. So kann es in Notfällen vorkommen, dass die Follower:innen ein paar Tage ohne Updates auskommen müssen. Insgesamt ist Mary flexibel in der Planung ihrer Inhalte, viele ihrer YouTube-Videos sind Vlogs und geben einen Einblick in das tägliche Abenteuer, eine Tierschutzorganisation zu leiten. Beispielsweise werden die Zuschauer:innen mit zum Tierarzt genommen, falls es einer Katze nicht gut geht. Oder Mary zeigt, wie man Räume und Spielzeuge richtig desinfiziert, damit sich keine Krankheiten verbreiten.

Der Inhalt der Videos ist dabei (fast) immer positiv. „Ich will, dass meine Videos fröhlich und informativ sind, denn die Welt des Tierschutzes kann sehr traurig und deprimierend sein. Es ist sehr einfach, sich da hineinziehen zu lassen.“ Manchmal gibt Mary aber auch Einblicke in genau diese dunkle Seite ihrer Arbeit – wenn zum Beispiel ein Neugeborenes nicht überlebt. Doch selbst diese Situationen werden genutzt, um den Zuschauer:innen Ratschläge zu geben und Informationen zu verbreiten, die in Zukunft ein Katzenleben retten könnten.

 „Ich bin nicht gut darin, mir eine Pause zu gönnen.“

Sowohl die Doppelbelastung als auch die teils traumatischen Geschehnisse gehen nicht spurlos an ihr vorbei. So spricht Mary in ihren Videos auch offen über das Thema mentale Gesundheit. Besonders wichtig ist es ihr dabei, die eigenen Bedürfnisse nicht aus den Augen zu verlieren und feste Grenzen zu ziehen – sowohl im Tierschutz als auch bei Social Media.

„Ich denke, dass viele Leute ihr gesamtes Leben ausschlachten“, erklärt Mary eine Sorge in Bezug auf ihr Influencer-Dasein. Um dem entgegenzuwirken, hat sie einige Regeln für sich selbst festgelegt, beispielsweise ihren Ehepartner nicht zu zeigen und nicht über politische oder religiöse Ansichten zu sprechen. „Je mehr du von deinem Leben zeigst, desto angreifbarer machst du dich“. Deswegen werden die Katzen auch weiterhin der Mittelpunkt ihrer Inhalte sein.

Im Kontext des Tierschutzes fällt es jedoch deutlich schwerer die eigenen Regeln einzuhalten. „Jemand schickt dir ein Bild von einem Katzenbaby, das wahrscheinlich ohne deine Hilfe sterben wird. Es ist fast unmöglich, nein zu sagen.“ Besonders zu Beginn ihrer Organisation musste Mary erst lernen, wie viele Tiere (und damit auch wie viel Belastung) sie wirklich auf sich nehmen kann. Zu einem Zeitpunkt war sie für 32 Katzen auf einmal verantwortlich. Heute würde sie so etwas nie wieder machen: „Niemand sollte so viele aufnehmen, das war dumm!“

 „Ich hatte keine Ahnung, das mein Leben hier landen würde.“

Zum Ende unseres Gesprächs frage ich Mary, ob es etwas gibt, dass sie gerne ihrem jüngeren Ich mitteilen würde. Sie scheint sich über das Thema schon einmal Gedanken gemacht zu haben. „Nimm dir die Zeit darüber nachzudenken, was dich ausmacht, wie du tickst, was dich begeistert. Es ist okay es nicht zu wissen, Dinge auszuprobieren und dann zu scheitern. Geh mit dem Strom, sei nicht so ernst und atme tief durch.“ Nach kurzem Zögern fährt sie fort: „Dein Wert als Mensch ist nicht gleichzusetzen mit dem, was du erreichst. Du bist ein Mensch auf dieser Erde, der ein Leben führen darf – was großartig ist, die Chance bekommt nicht jedes Lebewesen. Und du kannst es verbringen, wie du willst, und es gibt keinen Druck für dich, buchstäblich irgendetwas zu tun. Tu einfach dein Bestes, was immer das für dich bedeutet.“

Beitragsbild: Unsplash