Die Lanxess Arena in Köln ist bis auf den letzten Platz besetzt. Alle Blicke sind gebannt auf die riesige, hell erleuchtete Bühne gerichtet. Auf einmal erscheinen zehn junge Männer in Trikots, die sich durchs Publikum ihren Weg zur Bühne bahnen. Die Menge erhebt sich, fängt laut an zu klatschen, zu jubeln und wie wild Banner und Flaggen zu schwenken.
Geschrieben von Jana Bärenwaldt
Die Fans drängen sich so dicht es geht an ihre Idole heran, die lässig High fives verteilen. Der Lärm schwillt zu einem ohrenbetäubenden Getöse an, man könnte meinen, dass hier gleich ein Rockkonzert stattfindet. Aber weit gefehlt. Im Rahmen der “ESL One: Cologne 2017” wird hier heute auf der Bühne “CS:GO”, also der Ego-Shooter “Counter-Strike” gespielt. Bei den zehn Jungs handelt es sich um die Spieler der zwei Teams SK Gaming und FaZe, die gerade im Halbfinale des Turniers um insgesamt 250.000 Euro stehen. Ein Moderator, mehrere Kommentatoren und drei Spiele-Analysten führen durch das Event.
Preisgelder im Millionenbereich sind nichts Ungewöhnliches

Insgesamt 15.000 Menschen, Fans aus aller Welt, sind an diesem Wochenende nach Köln gereist, um sich die Spiele live vor Ort anzugucken und ihre Mannschaft anzufeuern. Für den “eSport”, also den “electronic sport” (dt: “elektronischer Sport”), ist das übrigens ein vergleichsweise kleines Turnier. Preisgelder im Millionenbereich sind mittlerweile nichts Ungewöhnliches mehr. Das letzte Finale des MOBA (Multiplayer Online Battle Arena) Games “League of Legends” kam auf 43 Millionen Unique Views, das letzte DFB-Pokalspiel konnte gerade einmal 9,82 Millionen Zuschauer verzeichnen.
Wenn man diese Zahlen hört oder sich in der feiernden Menge der Lanxess Arena umschaut, ist es nur schwer vorstellbar, dass eSports den meisten Menschen in Deutschland noch überhaupt kein Begriff ist oder wenn doch, dann ein eher negativ konnotierter. Gerade Ego-Shooter wie “Counter-Strike” werden von Politikern und in Medienberichten oft kontrovers diskutiert, um es milde auszudrücken.
“Deutschland ist dem eSport gegenüber einfach voreingenommen”

Gabriel Segat weiß um die problematische Stellung des elektronischen Sports in Deutschland. Bereits im Alter von 14 Jahren wurde sein Talent im Strategiespiel “StarCraft II” von der deutschen eSports Organisation mousesports entdeckt. Seitdem sind sechs Jahre vergangen und unter dem Spielernamen “HeroMarine” hat Gabriel neben anderen Turnieren schon viermal die deutsche Meisterschaft in “StarCraft II” gewonnen. Sein bisher gewonnenes Preisgeld beläuft sich auf über 50.000$ – eine Summe, von der viele andere 20-Jährige nur träumen können. Trotzdem ist seiner Meinung nach vor allem bei der Reputation von electronic sports noch viel Luft nach oben: “Solange der Ruf von Videospielen in Deutschland schlecht ist, kann auch der Ruf von eSports in Deutschland nicht gut sein. Insbesondere die oft sehr negative Berichterstattung durch die Medien in Bezug auf Ego-Shooter hat zu diesem Ruf beigetragen. Das schreckt auch etwaige Sponsoren ab solche Spiele zu unterstützen, obwohl gerade solche Spiele mit die beliebtesten und erfolgreichsten eSports Disziplinen sind.”
Der eSports Markt birgt enormes wirtschaftliches Potenzial
Trotz der vor allem in Deutschland lange erbittert geführten Debatte, lassen sich immer weniger Sponsoren und Investoren davon abhalten in das Geschäft einzusteigen. Viele Global Player, wie beispielsweise Coca Cola, Red Bull, Samsung oder McDonalds, haben schon das enorme wirtschaftliche Potenzial in electronic sports erkannt. Bereits 2014 hat Amazon das Live-Streaming-Videoportal Twitch, das vorrangig zur Übertragung von Videospielen genutzt wird, für knapp eine Milliarde US-Dollar übernommen.
Die Branche ist ein millionenschwerer Markt geworden, der jedes Jahr aufs Neue ein rasantes Wachstum verzeichnen kann und auch beruflich viele neue Perspektiven schafft. eSports Spiele füllen ganze Arenen, werden per Livestream in die ganze Welt übertragen und von Millionen Zuschauern verfolgt. Mittlerweile gibt es auch Übertragungen von Spielen im deutschen Fernsehen, z.B. auf Sport1. Sollten die Prognosen stimmen und die Umsätze in den kommenden Jahren weiter ansteigen, werden es sich viele Akteure gar nicht erlauben können, sich nicht zumindest eindringlich mit dem Thema electronic sports zu befassen.
“Wir haben hier kaum eine nationale Szene”

Gerade in Deutschland tritt die Ambivalenz des Phänomens eSports deutlich hervor. Mit der ESL ist eins der größten und wichtigsten Unternehmen der Branche in Deutschland ansässig, trotzdem erreicht der elektronische Sport hier nicht die breite Masse. Gabriel erklärt, dass Deutschlands Rolle im eSports sehr speziell sei: “Auf der einen Seite haben wir nicht die Top-Spieler, bzw. sind in keiner eSports Disziplin international gesehen die stärkste Nation, aber auf der anderen Seite ist der eSports Markt hier trotzdem sehr groß.” Das läge daran, dass sich viele Menschen damit auskennen, sich täglich Spiele angucken und den electronic sport unterstützen. Trotzdem sei auf der anderen Seite die nationale Szene im Vergleich zu Ländern wie Frankreich nur gering ausgeprägt, da es kaum starke deutsche Spieler oder Teams gäbe und deshalb größtenteils internationale Teams angefeuert würden.
Auch auf professioneller Ebene sieht die Bilanz eher düster aus. Unter den Top 100 der bestverdienenden eSportler weltweit befinden sich nur zwei Deutsche, deren Preisgelder zum größten Teil bei internationalen Teams erspielt wurden. Die einzigen international vertretenen deutschen eSports-Teams SK Gaming und mousesports hatten ihre Erfolge im Ausland hauptsächlich mit nicht-deutschen Spielern.
“eSports ist woanders eine echt Alternative”

Für Gabriel steht fest, dass das vor allem an der mangelnden Unterstützung von werdenden eSportlern und der fehlenden gesellschaftlichen Anerkennung des Berufsbildes liegt: “ Ein Hauptproblem ist, dass eSports hier nicht offiziell anerkannt ist. Und wenn es nicht anerkannt ist, dann wird es in der Bevölkerung nicht ernst genommen. Profispieler ist hier kein wirklicher Beruf, während in anderen Ländern der eSports mehr Anerkennung genießt und Spieler wirklich darauf hinarbeiten, Profis zu werden.”
Und tatsächlich hinkt Deutschland bei der Anerkennung hinterher: in einigen Ländern, darunter China oder Bulgarien, ist eSport mittlerweile als offizielle Sportart anerkannt. In vielen weiteren Ländern gibt es offizielle eSports-Verbände unter dem Dachverband des IESF, in Schweden oder Südkorea sogar eigene eSports-Studiengänge. Talentierte Spieler an ausgewählten Universitäten in den USA bekommen eSports-Stipendien und internationale Profispieler erhalten dort inzwischen Athleten-Visa.
In Deutschland wird der elektronische Sport dagegen weder von offizieller Seite als Sportart anerkannt, noch gibt es sonst große Entwicklungen, die nicht aus der Wirtschaft kommen. So erhalten weder Spieler noch Organisationen staatliche Förderungen oder Vergünstigungen, wie sie z.B. Sportvereine genießen. Die Branche ist dementsprechend sehr privatisiert und kommerzialisiert. Profispieler sind abhängig von Sponsoren und Investoren, wodurch finanzielle Sicherheit nur schwer zu erreichen ist. Das schreckt natürlich potenzielle neue Talente ab. Wer in Deutschland eSportler werden will, muss sich diesen Traum sehr hart erarbeiten.
Deutschland auf dem Weg zu mehr Akzeptanz
Glücklicherweise gibt es zahlreiche Anzeichen dafür, dass auch Deutschland auf dem Weg zu einer größeren Akzeptanz des elektronischen Sports ist. Bereits heute finden deutschlandweit in den verschiedensten Branchen regelmäßig entsprechende Fortbildungsveranstaltungen oder Fachtagungen statt. Und zum ersten Mal haben dieses Jahr auch die großen Parteien CDU und SPD das Thema electronic sports in ihren Bundestagswahlprogrammen verankert. Zudem eröffnet Angela Merkel die diesjährige Gamescom in Köln, und unterstreicht mit dieser Geste noch einmal die Wichtigkeit der Games- und eSports-Branche.
Der deutlich größere Druck dürfte sich aber weiterhin aus der Wirtschaft ergeben: bei fast jeder Konferenz aus den Bereichen Investment, Medien, Gaming oder Startup kommt der elektronischer Sport zur Sprache. Auch zur diesjährigen Gamescom gibt es zum ersten Mal eine eigene Konferenz rund um die boomende Branche. Das Risiko, hier den nächsten großen Trend zu verpassen, könnte für viele Firmen einfach zu groß sein. So haben mit dem VfL Wolfsburg, dem FC Schalke 04 und erst letzte Woche mit dem VfB Stuttgart bereits drei deutsche Fußballvereine eigene eSports Spieler unter Vertrag genommen.
Wo steht der eSport in 10 Jahren?

Am Finaltag ist die Spannung in der Lanxess Arena schon fast greifbar, als sich die letzte Spielrunde ihrem Ende zuneigt. Auf einmal springen die Spieler von SK auf und fallen sich jubelnd in die Arme. Auch die Zuschauer hält es nicht länger auf ihren Plätzen. Mit einem Mal erhebt sich die gesamte Arena. “It’s done! 3:0 in the Grand Finals!”, schmettert der Moderator begeistert in sein Mikrophon. Blitz- und Nebeleffekte zucken durch die Halle. Von der Decke regnet es Tonnen von Konfetti. Das Team von SK versammelt sich um einen riesigen Pokal und hält ihn unter dem tosenden Jubel der Menge gemeinsam in die Luft. Sie haben erneut bewiesen, dass sie das beste Counter-Strike Team der Welt sind.
Gerade Deutschland als “Sportnation” wird sich langfristig überlegen müssen, wie es mit dem electronic sport umgehen möchte. Und wenn es keine Einordnung als “Sport” geben sollte, bleibt die Frage, ob man sich diesem lukrativen Markt verschließen oder mit der vergleichsweise schlechten Stellung deutscher Teams und Spieler in diesem Gebiet zufrieden sein kann: unter den 16 qualifizierten Teams bei der ESL ONE Cologne befanden sich zwar auch zwei deutsche Organisationen, aber nur ein einziger deutscher Spieler. Gewonnen hat mit SK Gaming ein deutscher eSports Clan, dessen Hauptsitz in Köln liegt – die Spieler stammen allerdings allesamt aus Brasilien.
Das gesamte Interview mit Gabriel “HeroMarine” Segat gibt es hier zum nachlesen.