Seit Anfang 2020 kosten Tampons und weitere Damenhygieneprodukte in Deutschland weniger, denn der Mehrwertsteuersatz ist auf sieben Prozent gesunken. Zahlreiche Frauen haben sich dafür eingesetzt, diesen Schritt auf dem Weg in Richtung Enttabuisierung durchzusetzen. Gleichzeitig werden Accounts wie „thefemalecompany“ oder „einhorn.period“ auf Instagram immer erfolgreicher. Doch wie sieht es wirklich aus, wenn Frau Klartext über ihren Körper und ihre Gesundheit spricht? Hat sich gesellschaftlich etwas verändert?
Von Maike Hübner
Auf den ersten Blick wirkt Katrin Reuter in ihrem lockeren pinkfarbenen Longsleeve, der grauen Jeans und dem Kurzhaarschnitt nicht wie die klischeehafte Karrierefrau, die es der Männerwelt zeigen will. Wenn man sich mit der Bonnerin unterhält, merkt man sofort, sie geht subtiler und entspannter vor. Sie ist Gründerin aus Überzeugung: Zusammen mit ihrem Mann kam sie vor einigen Jahren auf die Idee einen Sensor für Frauen zu entwickeln, der die Familienplanung erleichtern soll. Er funktioniert wie ein Thermometer, das über Nacht vaginal eingeführt wird. An ein Backend gekoppelt, werden die Messwerte am nächsten Tag ausgewertet und der Nutzerin dann in einer App ausgespielt. Das Prinzip dahinter nennt sich “symptothermale Methode” und verbindet das Tracking der Körperkerntemperatur mit dem des Zervixschleimes, um die Fruchtbarkeit der Nutzerin zu ermitteln. Seit 2018 ist die trackle GmbH nun mit ihrem Sensorsystem auf dem Markt.
Katrin Reuter sitzt im Besprechungsraum des Büros, in dem sich auf einem langen weißen Tisch rosa- und pinkfarbene Teelichthalter befinden und farblich passende Pompoms aus Papier an einer Stehlampe hängen. Sieht so ein feministisches Unternehmen aus? Wohlfühlen, das tut Frau sich hier jedenfalls sofort. In der Ecke steht ein riesengroßes, gerahmtes Poster, auf dem eine blass rosafarbene Hand ein Tablett in der Hand hält. Darauf serviert in großen Lettern der Spruch: „Et voilà la réalité“. Diese Nüchternheit wirkt angesichts des restlichen Interieurs fast ironisch, trifft es aber auch gleichzeitig auf den Punkt. Es geht hier um den weiblichen Körper. Um Daten. Genauer gesagt um FemTech, durch die Frau ihren Körper besser verstehen soll, wie Katrin Reuter erklärt. Doch nicht nur das Produkt selbst ist spannend. Im täglichen Umgang damit passiert noch viel mehr: Wie ist es, wenn Themen wie Zyklus, Menstruation, Zervixschleim, Sex und Verhütung zum „daily business“ und damit zur Alltagskommunikation gehören? Wie sieht es aus, wenn Mitarbeiter, Kundinnen und Investoren mit der weiblichen „Realität“ konfrontiert sind? Und wie positioniert sich ein FemTech-Unternehmen im öffentlichen Diskurs? Schließlich richtet sich das Produkt in erster Linie an Frauen mit Kinderwunsch oder an solche, die schon eine Familie haben – nicht unbedingt die lässigen Insta-Feministinnen mit unrasierten Beinen in abgeschnittenen Shorts, die in Berlin Mitte die Freiheit ihres Körpers feiern.
Aus der Erfahrung mit Kundinnen weiß Katrin, „dass nicht alle Frauen da allgemein total aufgeschlossen und entspannt sind“. Sie erzählt, dass sie immer wieder Hemmungen begegnet, und das auf verschiedenen Seiten: „Selbst wenn ich entspannt darüber sprechen kann, sind die Rezipienten meiner Kommunikation nicht unbedingt entspannt.“ Für sie sei es nie ein Tabuthema gewesen, aber grundsätzlich ginge es darum, sich unmittelbar an seine Zuhörer anzupassen. Diese sind neben Kundinnen auch Mitarbeiter und Investoren. Das Feminismus-Argument funktioniere vor allem bei Männern nicht, mit denen sie in der (nur nebenbei bemerkt, noch immer männlich dominierten) Geschäftswelt vorwiegend zu tun hat. Stattdessen wecken bei ihnen, ganz klischeehaft, schlüpfrige Witze die Aufmerksamkeit. Männer hätten generell weniger Kenntnisse und Übung im Umgang mit diesen Themen, was Katrin anfangs auch bei ihrem Mann bemerkte. Wohingegen man glauben mag, dass es mit Frauen einfacher ist. Aus ihren Gesprächen mit Kundinnen weiß Katrin aber, dass auch viele Frauen immer noch gehemmt mit ihrem eigenen Körper umgehen. Dies betreffe erstaunlicherweise vor allem Jüngere.
“Hipster-Bekenntnisse” und “Pseudo-Provokationen”
Doch was ist mit den vielen erfolgreichen Accounts in den sozialen Medien, ganz vorne Instagram, auf denen uns ganz selbstverständlich blanke Nippel und blutige Slips begegnen und die uns eigentlich das Gegenteil zeigen? Während Instagram immer wieder als „anrüchig“ klassifizierte Aufnahmen zensiert, zählt ein Account wie beispielsweise einhorn.period nun rund 46,6 Tausend Follower (Stand: Februar 2020). „Wenn man auf Instagram unterwegs ist, könnte man meinen, dass sich etwas verändert hat. Aber man ist dort in einer Bubble unterwegs“: Katrin glaubt, dass die Plattform nun die Reichweite generiert, die vorher fehlte, sich aber die feministische Debatte um Themen der Frauengesundheit online nicht verstärkt hat. Weiterhin sagt sie, sei Kommunikation hier nicht mit Wissen zu verwechseln: „Auf Instagram sieht Enttabuisierung immer total schön aus“. Inhaltlich stecke hinter diesen Posts, bei denen die Geschäftsführerin eine weitgehend konformistische Bildsprache erkennt, nicht viel mehr als Unterhaltung. Es sei zwar wichtig, dass es ein großes Echo gebe, aber „Hipster-Bekenntnisse“ und „Pseudo-Provokationen“, wie Katrin sie nennt, seien für den Erkenntnisgewinn über den eigenen Körper kaum hilfreich. Dennoch weiß sie, dass diese Accounts wichtig sind, weil sie Themen setzen.
Caja Thimm ist Professorin für Medienwissenschaft und Intermedialität an der Universität Bonn und kennt die sogenannte „Agenda Setting“-Funktion der Medien. Sie denkt, dass vor allem die Petition zur Verringerung der Mehrwertsteuer auf Damenhygieneprodukte bereits dazu beigetragen hat, Themen rund um den weiblichen Körper in die Öffentlichkeit zu tragen. Dennoch betont sie, dass sie hier aus wissenschaftlicher Perspektive den Begriff der „Bubble“ als zu negativ empfinde. Es handele sich eher um eine „feministische Runde“, in der ein Austausch stattfindet. „Diese Debatten müssen im Internet stattfinden“, erklärt Thimm, denn hier seien die Diskurse offener. Solch intime Themen finden im Netz und in den sozialen Medien ihren Ursprung, weil Frauen sich hier eher trauen, sich zu beteiligen und offen ihre Meinung zu äußern. Im Anschluss an Debatten, wie beispielsweise #metoo, sieht die Wissenschaftlerin eine Chance, dass feministische Stimmen aus dem Internet in die etablierten Traditionsmedien, wie Fernsehen und Print, und damit in die Öffentlichkeit gelangen. Dies würde immerhin bedeuten, dass der Anstoß für ein Umdenken gegeben ist. Aus ihrer unternehmerischen Perspektive stellt Katrin Reuter dagegen fest, dass gesellschaftlich noch ein weiter Weg vor uns liegt: „Für den großen gesellschaftlichen Umbruch reicht Marketing nicht“, sagt sie. „Firmen setzen zwar Themen, aber nicht so ein großes Thema wie Feminismus.“
“Es geht uns um Selbstermächtigung und sexuelle Selbstbestimmung”
Wo aber setzt nun trackle an? „Wir wollen dafür sorgen, dass Frauen Informationen über ihren Körper auf eine einfache Art und Weise zur Verfügung gestellt bekommen, ohne Datenschutznachteile in Kauf nehmen zu müssen“, erklärt Katrin. Dies diene „der Selbstermächtigung und der sexuellen Selbstbestimmung“ der Frauen. Dem Unternehmen gehe es darum, mit ihrem Produkt Antworten auf Fragen durch Informationen zu geben. Daher bedingen sich für die Gründerin Enttabuisierung und Aufklärung gegenseitig. „Wir wollen ganz explizit ein feministisches Unternehmen sein. Das ist Teil unserer Firmenphilosophie und unserer Werte.“ Auch deshalb schließt sich trackle mit seinem Content an die Vorreiter bei Instagram an, setzt aber vor allem auf Information und damit auf Aufklärung.
Wie für Caja Thimm, beginnt auch für Katrin Reuter Enttabuisierung zunächst im Kleinen. Offene Informationen sind hier der Schlüssel und der erste Schritt: Ich bestimme über meinen Körper und muss dazu wissen, was in ihm und mit ihm passiert. Dazu zählt vor allem auch zu wissen, ob und wann ich schwanger bin, betont die Gründerin. Sie fasst zusammen: „Du kannst nur dann für das einstehen, was du willst, wenn du selbst weißt, was du willst“. Es gehe darum, dass Frauen ein „Standing“ entwickeln, sich aber gleichzeitig offen und enttabuisiert informieren können.
Et voilà la réalité: Es ist also an uns Frauen.
Beitragsbild: Maike Hübner