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Videonale.18 (Fluid States. Solid Matter) – eine Ausstellung trotz Corona

Vom 14. März bis 18. April 2021 wurden im Kunstmuseum Bonn 31 Arbeiten aus 23 Ländern ausgestellt. Zu Beginn war unklar, ob BesucherInnen aufgrund der damaligen Pandemie Situation überhaupt einen Fuß in die aufwendig konzipierte Ausstellung setzen können würden. Wie es das Videonale-Team und die beteiligten Kunstschaffenden dieses Jahr trotzdem geschafft haben die Videonale.18 auszurichten, steht im Folgenden.

von Gerriet Scheben

Kunst über Zoom?!

Mittlerweile gar nicht mehr so ungewohnt für viele Menschen, hatte es doch etwas Seltsames sich Anfang März über Zoom den Rundgang einer menschenleeren Kunstausstellung im Bonner Kunstmuseum anzusehen. Vorab boten Dr. Stephan Berg, der Intendant des Kunstmuseums, Ruth Lorenz, die Architektin- und Tasja Langebach, die künstlerische Leitung der Videonale, eine Vorstellung der diesjährigen Ausstellung von Bewegtbild-Kunstwerken an. Zudem waren die Künstler Lukas Marxt, Michael Petri und die Künstlerin Michelle-Marie Letelier mitzugeschaltet.

Direkt zu Beginn wurde auf eventuelle technische Störungen verwiesen, welche hierdurch im weiteren Verlauf des Rundgangs kaum noch irritierten. Es wurde schnell deutlich, dass die Beteiligten sich weitreichende Gedanken bezüglich der digitalen Umsetzungsmöglichkeiten gemacht haben. Anders scheint der Spagat im Spannungsfeld zwischen virtueller Vermittlung von Kunst und der intendierten Immersion vor Ort, kaum denkbar.

Quelle: Pixabay - ractapopulous
Quelle: Pixabay – ractapopulous

Was sagten die Veranstaltenden und KünstlerInnen zur unsicheren Lage ihrer Ausstellung?

Die Beteiligten redeten angenehm offen über ihre Sorgen und Hoffnungen. Ihre Einschätzungen differenzierten sich zwischen reinem Pessimismus oder Optimismus. Und auch das Stimmungsbild lag in einem Zwischenfeld von Vorfreude und Bangen.

Es wurde deutlich, dass die Kunstschaffenden darauf brennen sich auszutauschen, hierin spiegeln sich vielleicht Folgeerscheinungen der Isolation, wobei der Wunsch nach einem Dialog ja kein Corona-exklusives Phänomen darstellt. Frau Letelier beschrieb die Situation für sich als Möglichkeit und nicht als Einschränkung. Für sie waren die Eigenschaften Geduld, Kreativität und Stressmanagement besonders hilfreich um mit Problemen während der Pandemie umgehen zu können.

Seitens der Veranstaltenden hießt es, dass es schade wäre, wenn die Ausstellung nicht persönlich betreten werden könnte, da die Installationen physisch anders wirken, aber das setzten sie nicht mit einer Enttäuschung gleich.

Die Kunstschaffenden lobten wiederholt die tolle Infrastruktur der Videonale und den Einsatz des Veranstaltungsteams. Insgesamt hörte es sich danach an, dass alle Beteiligten dieses Jahr deutlich mehr Arbeitsaufwand als sonst betreiben mussten. 

Quelle: Pixabay - motionstock
Quelle: Pixabay – motionstock

Bei der Zoom-Vorführung stellen die Kunstschaffenden ihre Werke vor

Die Künstlerin Letelier hat einen Live Stream von 23 Lachsen zusammen mit Gesprächsauszügen inszeniert. Das Werk trägt den Titel „Outline oft he Bonding“. Es handelt sich um eine fortlaufende Übertragung. Im Lauf der Ausstellung verwandeln sich die gefilmten Lachse, die in einem Behälter schwimmen. Das Kunstwerk setzt sich aus analoger sowie digitaler Technologie zusammen. Mittels der Inszenierung wird Kritik an Massenproduktion und Genveränderung geübt. Die menschlichen Eingriffe in die Natur fließen dabei über die Nahrungsaufnahme zurück in unseren Körper.

Die Künstler Marxt und Petri drücken sich schon während des Rundgangs über visuelle Reaktionen aus, was die Stimmung auflockert. Sie sprechen über ihre Installation namens „Ralfs Farben“. Im Vordergrund steht Ralf Lüddemanns schizophrene und einzigartige Weltsicht. Er führt ein Aussteigerleben auf Lanzarote und gewisse Gegenstände, wie eine mumifizierte Hundeleiche üben eine starke Faszination auf ihn aus. Die ausgestellte Dokumentation einiger von Ralfs Gedanken versteht Marxt als allegorische Beschreibung des Geistes von Herrn Lüddemann.

Was hat es mit dem diesjährigen Untertitel der Veranstaltung Fluid States. Solid Matter auf sich?

Dieser Untertitel wurde nachträglich erdacht und trägt unter anderem den behandelten Themen der Ausstellung Rechnung. Zukunftsorientierte Bereiche wie Migration(en), der Umgang mit Ressourcen sowie Fragen bezüglich einer Körper- und Identitätspolitik (und deren Zusammenhängen) werden im Rahmen der Videoinstallationen behandelt. Außerdem beziehen sich die fluiden Zustände auf die unsicheren Zustände derzeit, die hiermit auch angesprochen und reflektiert werden sollen.

Die Idee „Bodies of Water“ nach Astrida Neimanis fließt in die Gestaltung des Titels mit ein. Ihr Ansatz ist, dass Körpergrenzen nicht feststehend sind, was sich beispielsweise auf die Beziehung Mensch-Natur übertragen lässt. Eine Hierarchisierung verschiedener Körper entfällt zusammen mit dem Auflösen der gedanklichen Grenzziehungen.

Welchen Einfluss hatte Corona auf die Videonale.18 im Jahr 2021?

Die große und komplexe Frage nach der Übersetzung von ausgestellten Bewegtbildern in den digitalen Raum wurde im Corona-Kontext aufgeworfen. Aus dieser Fragestellung resultierte ein umfangreiches Konzept eines Online-Programms der Videonale. So wurden beispielsweise ein Rundgang durch das Kunstmuseum Bonn und Kommentare der Kunstschaffenden gefilmt und veröffentlicht. Es erfolgten verschiedene Angebote von Streaming-Optionen etc. die in ihrer Fülle nicht vollständig aufgezählt werden können. Austauschmomente sollten virtuell aufgegriffen werden. Zum Beispiel mittels einer Art Speed Dates von KünstlerInnen und Fachpublikum. Hierdurch bekommt man eine Idee des oben bereits angesprochenen vielfachen Mehraufwands der sich nur durch den leidenschaftlichen Einsatz aller Beteiligter, welche für die Kunst brennen, erklären lässt.

Neben der grundsätzlichen Herausforderung Räumlichkeiten, die auf die Ausstellung von Bildern ausgelegt sind mit Videoinstallationen zu bestücken, kam noch hinzu, dass die gesamte räumliche Gestaltung der Ausstellung an die Pandemiebedingungen angepasst wurde. So musste eine anfänglich angedachte Netzstruktur der Räume verworfen werden. Auch an dieser Stelle muss die Arbeit, welche hinter dem grandiosen Resultat steckt, lobende erwähnt werden!

Es wurden weniger Elemente eingesetzt, um Platz für BesucherInnen mit Abstand zu schaffen und gleichzeitig ein weites Raumgefühl zu erzeugen. Frau Langenbach sprach in einem persönlichen Gespräch von einem leitenden Passagengedanken. So sollte ein Wandelgang zwischen den Werken, die in Wechselwirkung stehen, geöffnet werden und zu einer Dekonstruktion der Räume führen.

Die Architektin Lorenz empfindet die räumliche Nähe zu den Werken als Privileg, welches als solches besonders in Zeiten von Corona zum Ausdruck kommt. Diese Sichtweise kann ich nur unterschreiben. Zu meinem großen Glück konnte ich die Ausstellung in einer Einzelbegehung anschauen.

Quelle: Pixabay - kollsd
Quelle: Pixabay – kollsd

Eigene Eindrücke der Videonale.18

Die Videonale war ursprünglich eine studentische Initiative unter dem Motto: „Weg von den reinen Dunkelkammern“, was Frau Langebach mit „hin zu verschiedenen Displays“ erweiterte. Sie sprach von einer angestrebten Abkehr von gewöhnlichen Sehkonventionen. Was für sie in der Praxis weniger Black Boxes und stattdessen offene räumliche Anordnungen bedeutet. Laut Frau Langebach gestaltet sich die Planung der Videonale äußerst komplex. Sie geht bei der Planung von inhaltlichen Bezügen und Kontrasten der Werke aus, welche dann mit technischen Parametern abgestimmt werden müssen. Der Prozess der Fertigstellung sei dabei fortlaufend und könne nie wirklich abgeschlossen werden.

Zu Beginn meines Besuchs fallen mir schräge Projektionsflächen in Auge, die bereits bei der vorangegangene Videonale – Refracted Realities zum Einsatz kamen. Frau Langebach erklärt, dass ein neuer Laserbeamer verwendet werde der Bewegtbilder in 4K Qualität auf verschiedenste Flächen (unter anderem ein alter Holzschrank) wirft. Die Kunstwerke sehen gestochen scharf aus und die klangliche Untermalung kommt vor Ort eindrücklich zum Tragen.

Einige ausgewählte Tonspuren zu gewissen Installationen werden laut abgespielt, sodass sich neben den visuellen auch auditive Eindrücke vermischen und Wechselwirkungen entfalten. Die anderen Tonspuren können über Kopfhörer Zugänge angehört werden. Die Musik verläuft in fließenden Übergängen zwischen freundlichen konnotierten, hellen Klängen und bedrohlichere, schweren Tönen worin sich der Untertitel „Fluid States“ wiederfindet. Zusammen mit den in Bezug gesetzten Bewegtbildern entsteht eine einnehmende Synästhesie, deren Wirkung sich meiner Meinung nach schwer digital einfangen lässt.

Insbesondere die Wirkung von dystopisch anmutende Installationen wie „Sugar“ (Bjørn Melhus), in dem eine K.I. mit einer entmenschlichten Person interagiert oder das in Kontrast gesetzte „Pigeons and Architecture“ (Anne Linke) in welchem menschenleere Gebäude gezeigt werden, verstärkt sich vor dem Hintergrund alleine durch die Ausstellung zu gehen.

Die Zusammenstellung der Installationen in der vorliegenden Form generiert eine bewegende Atmosphäre. Durch die räumliche Öffnung und die resultierenden Bezüge werden auch die Erzählungen der Kunstwerke “geöffnet“ und einige Elemente verschwimmen ineinander. Hierin spiegelt sich die komplexe Zusammenführung diverser künstlerischer Weltzugriffe.

Trotz der Wechselwirkung zwischen den Werken erzeugen diese jeweils Anziehungsmomente, die temporär völlig für den jeweiligen künstlerischen Zugang vereinnahmen. Die Installation von Marxt und Petri erscheint mir besonders eindringlich. So führt die Kombination von repetitiven Flötenklängen und den Aussagen des Protagonisten Ralf zusammen mit dessen Faszination für bestimmte Objekte, die mit grellen Farben angestrahlt werden, zu einer Art hypnotischen Sog.

Die Ausstellung macht einen nachhallenden Eindruck auf mich. Kapitalismuskritik wird an allen Ecken und Enden geübt und die Themenkomplexe rund um die Idee entgrenzter Körper eröffnet weiterführende spannende Diskurse. Es wirkt äußerst nachvollziehbar, dass den Beteiligten daran gelegen ist, dass ihre großartige Ausstellung gesehen wird.

Wie ging und geht es weiter mit der Videonale?

Während der Dauer der Ausstellung konnten BesucherInnen, aufgrund der Corona-konformen Gestaltung der Räumlichkeiten und staatlicher Lockerungen, in angepasster Zahl die Videoinstallationen vor Ort betrachten. Andere Personen nutzten die online Streaming-Angebote. Ohne Corona hätten vermutlich mehr Menschen die Ausstellung live begehen können, aber die Mühe des Teams der Videonale und der Kunstschaffenden zahlte sich insofern aus, als das eine extrem sehenswerte Ausstellung aus den Anstrengungen entsprang, die mit Sicherheit einen bleibenden Eindruck bei einer Vielzahl von BesucherInnen hinterlassen hat.

Die Streaming Möglichkeiten sind mittlerweile nicht mehr verfügbar. Dennoch kann man sich per Newsletter über die Planung der kommenden Videonale informieren (https://v18.videonale.org/). Die 19. Ausgabe der Videonale ist für das Jahr 2023 angesetzt. Diesmal werden den Veranstaltenden und KünstlerInnen hoffentlich weniger Steine in den Weg gelegt und der erwünschte Austausch kann direkt im Kunstmuseum Bonn stattfinden. Angesichts der Kompetenz und Begeisterung des Teams der Videonale kann ein Besuch allerdings bereits jetzt schon bedenkenlos empfohlen werden.

 

 

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