Im Rahmen des diesjährigen Echos ist die Debatte um die Kunstfreiheit neu entfacht. Haben MusikerInnen eine Verantwortung? Oder darf Kunst erstmal alles? Im Gespräch mit der Rapperin Sookee über den Begriff der Kunstfigur, Doppelmoral und der politischen Macht von Worten ging ich der Frage auf den Grund.
von Niels Wendt
Wenige Meter vor mir steht eine schwarz gekleidete Studentin mit türkis-grüner Frisur. Ein Mann im Hemd neben ihr fragt sie: „Wer spielt als nächstes?“ Mit einer Mischung aus Verwunderung und nicht ganz ernst gemeinter Empörung erwidert sie: „Du kennst sie nicht? Sie hat richtig was drauf!“ Ihr ist deutlich anzusehen, dass sie Fan ist. Während sie weiter zur Erklärung ansetzt, kann ich für einige Sekunden die Begeisterung in ihrem Gesicht erhaschen und frage mich, mit welchen Worten sie ihm ihr Idol verkaufen wird. Doch auf der Bühne tut sich etwas, weshalb sie sofort mit ihrer Begleitung in der Menge verschwindet.

„Das hier ist nur der Soundcheck. Das gehört noch nicht zum Auftritt!“, ertönt eine Stimme durch die Boxen. Die Antwort in Form von einheitlichem Gejubel scheint die angekündigten Worte zu Nichte zu machen. Die Vorfreude der Fans ist einfach zu groß. Es reichen ein paar Zeilen, um dies deutlich zu spüren. „Der Preis für den lautesten Soundcheck geht an Sookee!“, wird die Rapperin schließlich vor Showbeginn anmoderiert. Mein Blick schweift über einen kleinen Merchandise-Stand neben der Bühne und bleibt dabei an Schlafbrillen, Regenbogen-Taschen und einem Gästebuch hängen. Ich schaue weiter ins Publikum und sehe gefärbte Haare, knallige Outfits, Patches mit politischen Sprüchen, Bärte, Iros und Glatzen.
Verantwortung und Bewusstsein
Etwa zwei Stunden vorher treffe ich Sookee zum Interview. Während sie mich freundlich begrüßt, fällt mir direkt ihre Kleidung auf, welche so bunt und farbenfroh daherkommt wie ihr Publikum. Sie trägt blau-lila gemusterte Leggins, Jeans-Shorts und ein Beyoncé-Shirt vom gestrigen Konzert in Berlin. Farblich abgestimmte Kreolen, eine Kette und eine selbstbestickte Schlafbrille auf dem Kopf runden ihr detailreiches Outfit ab. Wir befinden uns an der Universität Duisburg-Essen, wo wir in einem leerstehenden Seminarraum Platz nehmen. Der AStA veranstaltet heute das Campusfest Unitopia. Auf dem zugehörigen Flyer spricht er sich gegen Sexismus, Homophobie, Rassismus und Antisemitismus aus. Ich frage Sookee, ob für sie eine politische Positionierung der VeranstalterInnen von Bedeutung ist, wenn sie Buchungsanfragen erreichen.
„Also mir ist es schon wichtig, dass ein gewisses Bewusstsein existiert. Meistens kann man das ja an den auftretenden KünstlerInnen ganz gut ablesen. Wenn man das aber nicht guten Gewissens umsetzt, sollte man sich sowas nicht auf den Flyer schreiben.“ Zwar wird sie von befreundeten Clubs häufiger um ihre Einschätzung gebeten, allerdings sehe sie sich nicht in der Position, darüber zu entscheiden, wer wo spielt. In erster Linie sage sie für sich selbst zu. „Ich freue mich natürlich über eine anständige Awareness, wenn im Line-Up mehr los ist und es repräsentativ für die Gesellschaft ist.“ Diversität spielt in Sookees Musik eine große Rolle. Durch ihre Texte und Vorträge an Universitäten setzt sie sich gezielt für die Repräsentation queerer Lebensentwürfe ein und engagiert sich gegen Sexismus, Homophobie und Transphobie. Für ihre eindeutige politische Meinung wird sie von ihren Fans gefeiert.

Auch die Diskussion um das Campusfest der Uni Paderborn ist an Sookee nicht vorbeigegangen. Die Entscheidung der VeranstalterInnen, die 187 Straßenbande auszuladen, halte sie für nicht konsequent genug. „Das finde ich auch ein bisschen mau, wenn man 187 auslädt, aber MC Bomber und Karate Andi da spielen lässt. Wo ist jetzt Bomber weniger schlimm als Gzuz?“ Entweder lasse man alle spielen oder niemanden. Dies bedeute zwar nicht, dass diese KünstlerInnen an sich verboten gehören, dennoch sei es in Frage zu stellen, ob der Rahmen einer Universität Sexismus eine Plattform bieten solle.
Herabwürdigungen von Frauen seien allerdings nicht nur im Rap vorhanden, sondern in anderen Musikgenres genauso. Erst kürzlich ist sie auf einem Festival aufgetreten, wo ebenfalls der Songwriter Götz Widmann Teil des Programms gewesen ist. Seine Texte, in denen er Frauen ausschließlich in einem sexuellen Kontext thematisiere, kritisiert sie stark. „Der Typ wäre halt ein guter Feature-Partner für Farid Bang. Das Sexismuspotenzial passt auf jeden Fall.“ Von einer Gegenwartskultur wünsche sich Sookee allerdings mehr.
„Sexismus ist reaktionär und auf reaktionäre Kunst habe ich keine Lust. Das unterhält mich schlecht und das macht mir scheiß Laune.”
Ein großer Teil der Hip-Hop-Kultur ist der Battlerap: Ein Wettkampf auf verbaler Ebene, welcher sich einem diskriminierenden Sprachgebrauch bedient, auch wenn die Aussagen nicht zwangsläufig dem Weltbild der KünstlerInnen entsprechen müssen. Bei Diskussionen um die Inhalte wird das Argument der fiktiven Kunstfigur oftmals zum Todschlagargument. Für Sookee greift diese Argumentation zu kurz: „Es ist nicht dasselbe wie Schauspiel. Wenn du dich für eine Figur entscheidest, mit der du dich auf die Bühne stellst und Geld verdienst, hat es etwas mit dir zu tun.“ Es sei also immer eine bewusste Entscheidung, ob man ein Problem damit habe, diskriminierende Sprache zu nutzen oder nicht. Ich harke nach und frage, ob Kunstfreiheit nicht wichtig sei. Ihre Antwort kommt schnell und impulsiv: „Dieser ganze Kunstfreiheit-Scheiß ist doch Quatsch. Ich halte das für eine totale Ausrede. Wenn Kunst wirklich das höchste in der ganzen Debatte um Sprachgebrauch und Verantwortung wäre, dann würde Geld keine Rolle spielen.“ Dennoch sei es Sookees Meinung nach mehr als offensichtlich, dass gezielt Aufmerksamkeit durch diese Provokationen generiert wird. „Sie würden halt sagen ‚Sex sells‘, ich würde sagen ‚Sexism sells‘“.
„Aber geht es beim Battlerap nicht vielmehr darum, sich an humorvollen Wortspielen und einem kreativen Sprachgebrauch zu erfreuen? Das Subgenre begreift sich ja gar nicht als politisch.“ – Ganz so einfach sei es nach Sookee nicht: „Das Ding ist, die Sachen, die sie sagen, lassen sich politisch lesen. Eine sexistische Line ist ´ne sexistische Line und hat damit eine politische Aussagekraft, auch wenn der Rapper, der dahinter steht, sich überhaupt nicht als politisch versteht.“ Diese Ignoranz scheint Sookee wütend zu machen. Ihr Tonfall hat sich verhärtet und man merkt, dass sie das Thema wirklich zu beschäftigen scheint. Es sei „wahnsinnig egomanisch“, nicht darauf zu achten, wen man mit seiner Musik verletzt, ergänzt sie und schüttelt fassungslos den Kopf.
„Behindertenfeindlichkeit und Homofeindlichkeit sind für mich rechte Ideologien – menschenfeindliche Ideologien. Das sind Sachen, die Nazis denken und tun. Und da kannst du noch zwölf mal sagen, du bist gegen Nazis. Aber du verhältst dich halt in voll vielen Punkten genauso.“

Doch wissen Jugendliche, die sich mit Hip-Hop beschäftigen, nicht längst, dass man die Texte nicht zwingend für bare Münze nehmen sollte? Häufig wird von RapperInnen betont, dass ihre Fans die Inhalte richtig zu deuten wissen würden. Ich frage Sookee nach ihrer Einschätzung. Natürlich gebe es Jugendliche, die wissen, wie die Texte gemeint sind. Dennoch könne man nicht davon ausgehen, dass jeder die Trennung von Kunst und Ernsthaftigkeit versteht. “Ich halte es einfach für krass ich-bezogen zu sagen: ‘Meine Fans sind schon schlau, aber auf die dummen Fans scheiße ich. Deren Kohle nehme ich aber trotzdem.‘“ Mit dem ständigen Hervorschieben von Ironie kann sie sichtbar wenig anfangen.
„Also darf Satire nicht alles?“, harke ich nach. „Also wenn sich diese Leute auf Tucholsky beziehen, finde ich, ist das eine krasse Frechheit. Der Typ hat politische, systemkritische Kunst gemacht, die niemals nach unten getreten hat.“ Sexismus und Homophobie hätten hiermit allerdings nichts zu tun. Einfach das Andere im Schwulen oder der Frau zu suchen, halte sie auch handwerklich für schlecht gemacht. Sookee seufzt laut auf. Ich warte einen Moment und frage dann: „Aber kann Ironie nicht auch ein Mittel sein, um subversiv Kritik zu üben?“ Das verstehe sie zwar, dennoch gebe es Dinge, die ihre Meinung nach nicht gehen würden. Als Beispiel nennt sie einen Wahlwerbesport der Partei Die PARTEI, in dem Nico und Maxim der Gruppe K.I.Z einen Witz über Abtreibung machen. Sich einfach in einen Diskurs zu begeben, nur um den Witz zu machen, finde sie verwerflich. „Das ist nicht dein Humorfeld. Ich mache auch keine Witze über Rollstuhlfahrer, weil ich zwei gesunde Füße habe, mit denen ich laufen kann. Mir steht auch das N-Wort nicht zu.“ Unterstützend aufzutreten und sich hinter Leuten zu positionieren könne man immer. Darüber zu scherzen, wenn man nicht selbst betroffen ist, stehe einem allerdings nicht zu.
„Sexismus, Homophobie und Transphobie sind die Kavaliersdelikte unter den Diskriminierungen!“
„Fehlt den Leuten deiner Meinung nach das Verständnis dafür, dass Diskriminierung nicht erst beim Hass einer Gruppe, sondern schon viel früher anfängt?“ – Sookee nickt zustimmend. „Na klar. Es heißt dann immer, ich respektiere doch meine Mutter und meine Freundin. Als gäbe es nicht auch hochgradig rassistische Männer, die mit einer Thailänderin verheiratet sind. Das ist einfach so ein Antiargument.“ So ähnlich sei das auch bei Antisemitismus. Der komme auch ohne JudenhasserInnen aus. „Natürlich kann Kollegah Mucke mit einem Juden machen. Dennoch beruht sein Weltbild auf einer abstrakten Imagination vom Bösen in der Welt durch das Judentum.“
Abschließend möchte ich von Sookee wissen, was passieren muss, um die Sensibilität für ihren Sprachgebrauch bei den KünstlerInnen zu wecken. „Das kann man so pauschal nicht sagen. Aber es gibt Leute, bei denen habe ich das Gefühl, dass dort Potenzial da ist. Ich setze mich auch gerne mit jedem hin.“ Generell sei sie offen mit jedem in einen Dialog zu treten – außer mit organisierten Nazis. Als Positivbeispiel für ein Umdenken nennt sie den Rapper Megaloh. „Der ist auf jeden fall jemand, der gereift ist und es einfach gepeilt hat. Der benutzt halt bestimmte Begriffe nicht mehr.“ Aus dem Wort „Spast“ auf der „Endlich unendlich“-EP habe er im Nachhinein „Spatz“ gemacht, sagt sie. Das Wort behalte somit „den Punch“, ohne jemanden dabei zu diskriminieren. Dieser spielerische Umgang gefalle ihr gut. „Probs an Megaloh an dieser Stelle. Das ist auf jeden fall jemand, zu dem ich aufschaue und bei dem ich es cool finde, dass er das Maul aufmacht.“
Sookee lächelt. Auch wenn man der Musikerin deutlich anmerkt, wie nah ihr die besprochenen Themen gehen, scheint es ihr Hoffnung zu machen, wenn Leute über ihren Sprachgebrauch reflektieren. „Ich möchte ja niemandem etwas verbieten. Ich würde mich nur freuen, wenn die KünstlerInnen häufiger schlaue Sachen sagen und nicht noch mehr zur Gesamtscheiße beitragen.“ Sprache und Musikinhalte würden sich hierbei nunmal nicht ausklammern lassen – ob unter dem Deckmantel der Kunst oder auch nicht.