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Tourismus light in Albanien: Reisen zwischen Traumstränden und Baustellen

Instragram-reife Strände, unberührte Gebirgslandschaften und unschlagbar günstige Preise – Albanien ist unter jungen Reisenden schon längst kein Geheimtipp mehr. Den Erwartungen europäischer Standard-Touristen begegnet das Land allerdings erst allmählich. Warum sich eine Reise trotzdem mehr als lohnt.

Von Victoria Schöndelen

Laura, eine gute Freundin von mir, liegt mir schon seit Jahren in den Ohren: „Du musst unbedingt einmal mit mir nach Albanien fahren!“ Ihre Eltern stammen aus dem kleinen Balkanland, jedes Jahr verbringt die gesamte Familie dort ihren Sommerurlaub. Bisher habe ich immer nur wohlwollend genickt – diffuse Vorstellungen von einem rückständigen Land und nichtssagende Landschaften schwirrten durch meinen Kopf. In diesem Sommer haben ich und zwölf Freunde uns von Lauras Enthusiasmus anstecken lassen und eine elftägige Reise ins Ungewisse gewagt.

Obwohl, wirklich ungewiss war dieses Vorhaben gar nicht, denn Urlaubsportale und Zeitungen werben immer öfter für das Land am Mittelmeer. Wenn selbst die Frauenzeitschrift Glamour die albanischen Strände als günstige Alternative zur Karibik anpreist, kann man wohl nicht mehr von einem Geheimtipp sprechen.

Tirana: Ankunft im Low-Budget-Himmel

Blick über die Dächer Tiranas, Foto: Victoria Schöndelen
Blick über die Dächer Tiranas, Foto: Victoria Schöndelen

Unsere Reise im Land des Doppelkopfadlers beginnt in der Hauptstadt Tirana. Unter der Leitung des amtierenden Ministerpräsidenten Edi Rama, der hier damals noch Bürgermeister war, hat die bis dahin chaotische Stadt in den letzten Jahren einen neuen Anstrich erhalten. Zwar sind die bunten Fassanden vieler Häuser immer noch ausgeblichen und verwittert, doch das Leben in Tirana pulsiert: Überall gibt es gut besuchte Bars und Restaurants, ausgefallene Boutiquen und köstliche Obststände, deren Preise sich gegenseitig unterbieten. Für unser üppiges Abendessen zahlen wir gerade einmal fünf Euro pro Person inklusive Getränke – wir sind im Low-Budget-Himmel!

Zu der günstigen Übernachtung bekommen wir in unserem Hostel dank der grandiosen Dachterrasse einen einmaligen Blick auf die farbenfrohen Dächer der Hauptstadt und den Berg Dajti gratis dazu. Hier hat auch Jorik, ein 26-jähriger Student aus dem nördlichen Shkodra, eingecheckt. Tirana ist der erste Halt seiner Reise durch sein Heimatland. „Ich war natürlich schon öfters hier, aber es gibt immer wieder Neues zu entdecken.“ Gerade die Studentenszene sei in den letzten Jahren beständig gewachsen. „Wenn ich hier mit Ausländern ins Gespräch komme, sind sie immer überrascht, wie viel hier los ist.“

Früher Nordkorea, heute Kolumbien

Die meisten Menschen begegnen Albanien mit einer Menge Vorurteilen – angesichts der turbulenten Vergangenheit des Landes wohl nicht ganz unbegründet: Vor gut 25 Jahren galt Albanien noch als das Nordkorea Europas. Unter der kommunistischen Diktatur von Enver Hoxha entstand hier ein strikt abgeschirmtes Paralleluniversum, in dem Reisen, Religion und Autos verboten waren. Nachdem das Regime mit dem Tod Hoxhas zusammengebrochen war, wurde das Land nur wenige Jahre später durch einen Bürgerkrieg in neue Unruhen gestürzt, bevor es Ende der 1990er vom Kosovo-Konflikt getroffen wurde.

Bis heute ist keine vollständige Ruhe eingekehrt: Politik und Polizei gelten als korrupt, außerdem hat Albanien mit einem unkontrollierbaren Drogenproblem zu kämpfen, das ihm den Ruf des europäischen Kolumbiens eingebracht hat. Auch wenn vieles davon befremdlich klingen mag – Albanien gilt als sicheres Reiseland und ist seit 2014 offizieller Beitrittskandidat der Europäischen Union.

Gerade die ältere Generation hat erst zögernd gelernt, dass die Öffnung des Landes keine Probleme, sondern Chancen bedeutet. „Meinen Eltern wurde noch eingetrichtert, Albanien sei der Vorreiter des Kommunismus‘ und müsste vor feindlichen Einflüssen von außen geschützt werden“, erzählt Jorik kopfschüttelnd.

Vlora: Massentourismus und Traumstrände

Strand bei Vlora, Foto: Victoria Schöndelen
Strand bei Vlora, Foto: Victoria Schöndelen

Nach drei Tagen in der stickigen Hitze der Hauptstadt brauchen wir eine Abkühlung. Wir machen uns auf den Weg Richtung Vlora, die drittgrößte Stadt des Landes. Jeder freie Fleck ist eine Baustelle, oft ist nicht ersichtlich, ob sich die halbfertigen Gebäude gerade im Aufbau befinden oder schon wieder aufgegeben wurden. Optisch ist die Stadt mit ihren tristen Betonhotels und breiten Boulevards voller Restaurants und Läden kaum von anderen europäischen Touristenhochburgen zu unterscheiden. Doch nur wenige Kilometer hinter dem künstlich angelegten Stadtstrand erwarten uns malerische Steinstrände, glasklares Wasser und beruhigend wenige Menschen.

Vom wachsenden Tourismus im Land profitieren insbesondere die jüngeren Albaner. Viele Kommilitonen von Jorik verbringen ihre Semesterferien in Hotels und Restaurants, um ihr Studentenbudget aufzustocken. 15-Stunden-Schichten sind dabei keine Seltenheit. „Das ist natürlich hart. Aber es ist ja nur für eine kurze Zeit und am Ende des Tages stimmt das Geld.“ Für diejenigen, die hauptberuflich in der Tourismusbranche arbeiten, empfindet Jorik jedoch Mitleid: „Je mehr Touristen nach Albanien kommen, umso größer wird die Konkurrenz in der Branche. Ich denke, dass sich die Arbeitsbedingungen in den nächsten Jahren weiter verschlechtern werden, es sei denn, man ist selbst Inhaber eines Hotels oder Restaurants. Aber wer ist das schon?“

Dass es sich bei den Mitarbeiten in der Regel nicht um ausgebildete Service-Kräfte, sondern Amateure handelt, merken auch wir sehr schnell. Häufig hakt es an der Kommunikation, Englisch ist für die meisten keine Selbstverständlichkeit. Auch die Organisation, sowohl im Restaurant als auch an der Hotelrezeption, läuft oft eher chaotisch ab. Doch was ihnen an Professionalität fehlt, machen die Albaner mit bestechender Gastfreundschaft und Aufmerksamkeit wieder wett: Als mir beim Kauf der obligatorischen Postkarten das nötige Kleingeld fehlt, schickt mich der Ladenbesitzer nicht etwa zum nächsten Bankautomaten, sondern schenkt sie mir einfach. Bei Sonderwünschen legen die Kellner im Restaurant einen regelrechten Sprint hin, um unseren Anliegen in Rekordzeit nachzukommen. Und als wir in unserem Hotel in Vlora nach einer Möglichkeit zum Wäschewaschen fragen, wird dieser Service am nächsten Tag neu eingeführt.

Auf den Spuren von Cäsar

Blick über den Llogara Nationalpark, Foto: Victoria Schöndelen
Blick über den Llogara Nationalpark, Foto: Victoria Schöndelen

Die nächsten Tage in Vlora genießen wir am Strand. Aber nicht nur Sonnenanbeter kommen in Albanien auf ihre Kosten. Wer es ein bisschen abenteuerlicher mag, wagt sich in die weitläufigen Gebirge, die praktischerweise direkt an der Küste liegen. Während im Norden des Landes der Wander-Tourismus in den Albanischen Alpen schon länger boomt, ist die Infrastruktur in den südlichen Gebirgen noch ausbaufähig. Unser erster Versuch im Llogara Nationalpark scheitert kläglich, da wir direkt zu Beginn unserer Wanderung die falsche Abzweigung nehmen und uns eine Stunde später irgendwo im Nirgendwo wiederfinden. Später erzählt uns der Besitzer eines urigen Restaurants von einem Weg direkt hinter seinem Haus, der uns in nur zehn Minuten auf eine Lichtung mit perfektem Blick über das Tal führen soll – mit unzähligen Kratzern übersät stehen wir eine halbe Stunde später völlig resigniert wieder vor seiner Tür. Doch der Herr des Hauses will uns nicht unvollendeter Dinge gehen lassen: Nachdem seine kleine Tochter unsere Blessuren mit einer brennenden Raki-Spülung versorgt hat, führt er unsere Truppe zielstrebig durch das Gestrüpp und Unterholz, bis wir tatsächlich auf der angepriesenen Lichtung landen. Hier stand angeblich schon Julius Cäsar vor über 2000 Jahren und genoss den prächtigen Ausblick über das Gebirge und das Ionische Meer.

Ksamil: Willkommen im Paradies                                                                                        

Quelle "Blaues Auge", Foto: Victoria Schöndelen
Quelle “Blaues Auge”, Foto: Victoria Schöndelen

Als sich unser Urlaub langsam dem Ende neigt, fahren wir weiter Richtung Süden. Um an unser Ziel, den Glamour-Strand in Ksamil, zu gelangen, müssen wir den Llogara-Pass überqueren, der sich in schwindelerregender Höhe durch das Ceraunische Gebirge schlängelt. Während sich meine Mitreisenden die Gesichter an den Autoscheiben plattdrücken, um die imposante Aussicht bestmöglich einzufangen, fürchte ich angesichts fehlender Leitplanken um mein Leben. Am Ende des Passes liegen meine Nerven blank. Da kommt mir der kurze Zwischenstopp am „Blauen Auge“ gerade recht. Aus dieser unterirdischen Quelle eines Bergsees strömt unaufhörlich eiskaltes und kristallklares Wasser, das meine Lebensgeister in Sekundenschnelle wiederbelebt. Als erster und einziger Ort unserer Reise wimmelt es hier von Touristengruppen, die in mehreren Bussen auf für mich unerklärlicherweise den Weg über die engen Schotterstraßen ins farbenprächtige Paradies gefunden haben.

Wenige Zeit später kommen wir an unserem Tagesziel an. Die Zeitschrift hat tatsächlich nicht zu viel versprochen: Der Strand von Ksamil beeindruckt mit zauberhaften Buchten und klarer Sicht auf die nahegelegene griechische Insel Korfu – wieso in die Karibik reisen, wenn solche Traumorte so viel näher und erschwinglicher sind? Spätestens als wir auf den bequemen Strandliegen unsere letzten Urlaubsmomente genießen, steht für uns alle fest: Wir müssen noch einmal wiederkommen.

Jorik begrüßt die wachsende Popularität Albaniens: „Das ist nicht nur gut für unsere Wirtschaft, sondern für das Land generell.“ Durch die EU-Beitrittsverhandlungen werden die alten Probleme endlich angepackt, besonders das Thema Korruption ist Jorik ein Dorn im Auge. Das Land habe so viel zu bieten, sowohl landschaftlich als auch kulturell. „Die Leute sollen das wahre Albanien sehen und sich nicht von der Geschichte und den schlechten Angewohnheiten unserer Beamten abschrecken lassen.“

Auch Laura freut sich über unser positives Fazit zu ihrer zweiten Heimat: „Ich würde mir wünschen, dass noch mehr Menschen den Mut und die Neugier aufbringen würden, um Albanien kennenzulernen.“ Und sie hat Recht: Ein bisschen Mut gehört zu der Reise schon dazu, das haben mir die vergangenen Tage gezeigt. Vielleicht ist es aber ganz gut, dass die meisten Menschen diesem Land nach wie vor mit etwas Skepsis begegnen. So bietet Albanien mir und anderen aufgeschlossenen Reisenden auch noch in Zukunft ein unvergleichliches Erlebnis abseits von Massentourismus und ausgetretener Wege.

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