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Sonderausgabe Berlin-Exkursion: Die dunkle Seite der sozialen Medien

Wenn man an Fake News denkt, denkt man zunächst an deren Verbreitung über die digitale Öffentlichkeit auf Facebook oder Twitter. Dass gezielte Desinformation genauso über private, vermeintlich harmlose Chats funktionieren kann, wird mit dem Begriff Dark Social umschrieben.

Beim Besuch im Berliner Facebook-Office ging es im Gespräch mit Public Policy Manager Semjon Rens und Policy Programs Manager Johannes Baldauf unter anderem um Dark Social als Herausforderung und Gefahr für die politische Diskussionskultur. Denn auch die rechte Szene nutzt vermehrt private Kommunikationskanäle.

In Anlehnung an den Begriff Dark Net wurde der Begriff von Alexis Madrigal, Journalist bei The Atlantic, in einem Artikel 2012 geprägt. Madrigal beschrieb damit den nicht messbaren Teil des Traffics auf Websites, der durch das Teilen von URL-Links  in privaten Chats  entsteht. Man weiß in diesen Fällen schlichtweg nicht, woher die Besucher der Seite kommen. Dark Social war in seiner ursprünglichen Bedeutung also vor allem von wirtschaftlicher Relevanz für Seitenbetreiber, die durch die fehlenden Daten weniger zielgenaue Werbung schalten können. Die Bedeutung des Begriffs hat sich in letzter Zeit jedoch erweitert. Unter politischen und gesellschaftlichen Gesichtspunkten geht es hier um die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindende Kommunikation interessenbezogener, geschlossener Gruppen, die die politische Meinung stark beeinflussen und Filterblasen-Effekte verstärken können.

„The future is private“ verkündete Mark Zuckerberg auf der diesjährigen Entwicklerkonferenz von Facebook. Tatsächlich wächst die Beliebtheit von Messenger-Apps wie WhatsApp und dem Facebook-Messenger und auch die Anzahl an privaten Facebook-Gruppen steigt. Im Umkehrschluss verliert die öffentliche Kommunikation in sozialen Netzwerken an Bedeutung. Ergebnisse des Analytics- Unternehmen Mixpanel  zeigen, dass die Beteiligung auf Facebook mit Likes, Posts und Shares seit dem Cambridge Analytica Skandal rund 20% gesunken ist. Für Facebook bedeutet das eine Änderung des Fokus: vom langjährigen Kernprodukt Newsfeed zum privaten Messaging. Es müssen neue Möglichkeiten gefunden werden, um Werbeeinahmen zu schaffen. So viel zur wirtschaftlichen Seite. Doch was bedeutet dieser kommunikative Rückzug der Nutzer für die digitale politische Öffentlichkeit? War es das mit der Deliberation im Netz im Sinne von Habermas? Und was sind die Gründe für den Rückzug ins Messaging?

Rückzug ins Private: Biedermeierzeit sozialer Medien?

"Whatsapp" (CC BY 2.0) by Tim Reckmann | a59.de
“Whatsapp” (CC BY 2.0) by Tim Reckmann | a59.de

Laut einer Umfrage von PEW, die während des US-Wahlkampfes 2016 durchgeführt wurde, hat es vor allem mit dem politischen Diskussionsklima auf der Plattform zu tun. Über die Hälfte der Befragten äußerten, dass sie die politische Gesprächskultur auf Facebook als gehässiger als andere Arten des politischen Austausches empfänden. Problematisch ist sicher auch, dass Social Bots in digitalen öffentlichen Diskursen polarisierende Meinungen und Desinformation verbreiten. In der Diskussion um die Social Media Nutzung in politischen Kontexten fallen ebenso oft Stichwörter wie Fragmentierung und Mini-Publics, die den Strukturwandel der digitalen Öffentlichkeit charakterisieren sollen. Phänomene wie Echokammern und Filterblasen – so die Theorie – dominieren die Debattenkultur auf Facebook, da durch nutzerverhaltensbasierte Algorithmen Nutzern vor allem Inhalte präsentiert würden, die die bestehende Meinung zurückspiegeln. Vor allem die Idee der Filterbubble wurde in der politischen Debatte viel diskutiert, mittlerweile wurde die Theorie jedoch zum Teil entkräftet. Vor allem die Annahme, dass Filterblasen vornehmlich durch Algorithmen entstehen wurde widerlegt. Aber: Die grundlegende Gefahr, dass man sich nur noch mit Meinungen befasst, die in das eigene Weltbild passen, wird in jeden Fall verstärkt, wenn sich politische Diskussion vermehrt in private Gruppen mit Gleichgesinnten verschiebt, wo Individuen gar nicht mehr mit konträren Meinungen konfrontiert werden.

Die Zukunft von Fake News liegt im Messaging

"Connecting people" (CC BY-SA 2.0) by hernanpba
“Connecting people” (CC BY-SA 2.0) by hernanpba

Wenn weniger öffentlich kommuniziert wird, heißt es auch, dass der politische Diskurs sich in geschlossene Kanäle verlagert. Und das hat verschiedene Konsequenzen. Einerseits kann das bedeuten, dass extreme, polarisierende Meinungen auf den sozialen Plattformen nicht mehr so sichtbar sind bzw. sein werden, da sich dieser Austausch in die private, geschützte Sphäre  verlagert. Auch liegt in größeren, privaten Gruppen ein neues Mobilisierungspotential. Die Gelbwesten-Bewegung beispielsweise soll sich zu einem Teil über private Gruppen auf Facebook koordiniert haben. Zu guter Letzt besteht auch eine Gefahr darin, dass Desinformation sich über Dark Social noch leichter verbreiten lässt. Eine YouGov-Umfrage aus dem Jahr 2017 ergab, dass 23% der Befragten Nachrichten über mindestens einen Messaging-Dienst “finden, teilen oder diskutieren”. In Ländern wie Brasilien liegt diese Zahl sogar bei 50%. WhatsApp ist dort  eine wichtige Informationsquelle. Bei der Wahl des brasilianischen, rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro 2018 spielte dieser Umstand eine wichtige Rolle. Die Zeitung Folha de  São Paolo berichtet, dass sich der Wahlsieg mithilfe einer WhatsApp-Kampagne realisierte. Mehrere Agenturen sorgten für die Verbreitung von Falschnachrichten in WhatsApp-Gruppen. In Indien kam es im Sommer 2018 sogar zu Lynchmorden aufgrund der Verbreitung von  Falschinformationen. Über WhatsApp verbreiteten sich als örtliche Polizeimeldungen getarnte Warnungen vor Kindesentführungen. Die Anwohner informierten sich dann gegenseitig, wenn sie vermeintlich Verdächtige entdeckten. Manche dieser Verdächtigten wurde zu Tode geprügelt. Das Land versuchte mit Aufklärungskampagnen einzugreifen. WhatsApp führte als Konsequenz die Beschränkung der Weiterleitung von Informationen von 20 auf fünf Leute ein. Auch steht mittlerweile über jeder weitergeleiteten Nachricht der Hinweis, dass diese weitergeleitet ist und nicht von Sender selbst verfasst.

Kein öffentliches Korrektiv kann die Desinformation in Dark Social stoppen

Das große Problem: Es gibt keine digitale Zivilgesellschaft, die die politische Diskussion kontrollieren oder korrigieren kann, wie es bspw. bei Facebook-Posts der Fall ist. Man denke an die Kampagne #ichbinhier, die sich zum Ziel gemacht hat, gegen Hetze und Hasskommentare vorzugehen. Auch Fact-Checking Organisationen können nur mit öffentlichen Inhalten arbeiten und bringt in bilateralen Kommunikationskanälen nichts. Stattdessen können sich  Falschnachrichten wie ein Lauffeuer in den geschützten Gruppennetzwerken verbreiten und werden weniger hinterfragt. Denn die geteilten Inhalte wirken durch die direkte, private Kommunikation glaubwürdig. Aus psychologischer Sicht wird Fake News generell eher akzeptiert, wenn die Nachricht in das eigene Weltbild passt und wenn diese Information dann noch von einem Freund oder Bekannten kommt, ist die Wirkung noch viel stärker. Für die Messenger-Betreiber ist es durch die Verschlüsselung der Nachrichten nicht möglich einzugreifen, wenn Fake News die Runde macht. Wie soll das auch möglich sein, ohne in die Privatsphäre der Nutzer einzugreifen? Was kann man tun?

Wie die rechte Szene den Messaging-Trend nutzt

Diese Dynamik nutzen auch rechtsextreme Akteure aus und schaffen Netzwerke aus rechten WhatsApp-Gruppen – vor allem seit die Community Standards auf den öffentlichen sozialen Plattformen verschärft wurden. Teilweise machen sie öffentlich in Facebook-Posts, auf Instagram oder YouTube auf die Messaging-Gruppen aufmerksam. Laut Miro Dittrich vom Monitoring-Projekt „De:hate“ der Amadeu Stiftung ist es vor allem die Vernetzung für die rechte Szene über Messaging-Gruppen interessant sowie die Möglichkeit, ungehindert strafbare Inhalte und Nazi-Propaganda zu teilen. Als WhatsApp Ende 2018 die WhatsApp Sticker-Funktion einführte, nutzten rechte Gruppen die Funktion, um Nazi-Symbole zu teilen, wie das Jüdische Forum im November 2018 in einem Tweet mitteilte. Die Vernetzung der Rechten über Dark Social machte, so Dittrich, auch die schnelle Mobilisierung der rechtsextremen Demonstrationen in Chemnitz 2018 möglich.

Wie kann man die Verbreitung von Falschmeldungen über Dark Social eindämmen?

Viel wurde über die neuen partizipatorischen Möglichkeiten der Netzwerkmedien diskutiert. Mit der aktuellen Entwicklung von Dark Social scheint das Ganze an einem toten Punkt angekommen zu sein. Bisher wurde, wie gesagt, von Betreibern mit der Einschränkung der Anzahl an Weiterleitungen versucht, die schnelle Verbreitung zu stoppen. Durch den Weiterleitungsverweis sollen Empfänger zudem angeregt werden, erhaltene Inhalte zu hinterfragen.  Außerdem soll WhatsApp momentan eine Funktion testen, die das Rückwärtssuchen von Bildern ermöglicht, sodass Bilder aus der App direkt in die Bildersuche von Google hochgeladen werden und dort mit ähnlichen Fotos aus dem Netz abgeglichen werden, um die Echtheit und Herkunft zu überprüfen. Außerdem ist es wichtig, ein starkes Bewusstsein für die Gefahren von Dark Social zu schaffen und generell an Lösungsansätzen mit dem Umgang rechter Hetze zu arbeiten. Miro Dittrich sieht zudem Chat Bots wie den der Bundeszentrale für politische Bildung, die  täglich über politische Begriffe oder aktuelle Ereignisse aufklären, als Chance für gute politische Kommunikation.

 

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