Aktuelles Gesellschaftsleben Politik

Sollte man Alexander Gauland zu Hanau interviewen?

Seit dem rechtsextremen Anschlag in Hanau hat die Diskussion über die Art und Weise der Berichterstattung über die AfD wieder zugenommen. In wie weit sollte man Politiker*innen der AfD den Raum geben, ihre Meinung sagen zu dürfen? Wo ist die Neutralität des Journalismus in Gefahr und wie sieht eine angemessene Berichterstattung über Anschläge wie in Hanau aus?

Ein Kommentar von Lisa Pauli

Vor allem auf dem sozialen Netzwerk Twitter wird seit einigen Tagen von einer Vielzahl von User*innen heftige Kritik an Medienanstalten geäußert. Grund für die Kritik waren Interviews mit Alexander Gauland, dem Fraktionsvorsitzenden der AfD im Bundestag,  der sich zum rechtsextremistischen Anschlag in Hanau (bei dem neun Menschen mit Migrationshintergrund getötet wurden) äußern durfte. Namentlich in der Kritik standen vor allem die öffentlich-rechtlichen Programme Tagesschau, heute-journal und phoenix vor ort. Um herauszufinden, ob diese Kritik gerechtfertigt ist oder nicht stellt sich vor allem eine Frage:

Welchen Mehrwert hat es, Alexander Gauland Statements zu einem rassistisch motivierten Anschlag abgeben zu lassen?

Dieser Tweet der Twitter-Userin @FerdaAtaman mit mehr als 14.000 „Gefällt mir“-Angaben sorgte für viel Diskussion
Dieser Tweet der Twitter-Userin @FerdaAtaman mit mehr als 14.000 „Gefällt mir“-Angaben sorgte für viel Diskussion

Wenn man Politiker*innen nach einem solchen Anschlag wie in Hanau um ein Statement bittet, welche Antworten bekommt oder erwartet man? Zuerst einmal rechnet man wahrscheinlich damit, dass die interviewte Person Anteilnahme ausdrückt. Dann wird oft versprochen, dass bestimmte Maßnahmen getroffen werden, um solche Anschläge in Zukunft verhindern zu können, wie etwa die Verschärfung des Waffengesetzes oder die stärkere Verfolgung und Beobachtung von rechtsextremistischen Gefährder*innen. 

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier äußerte sich am Abend des 20.02. bei einer Mahnwache auf dem Marktplatz in Hanau zum Beispiel mit den Worten: „Wir stehen als Gemeinschaft zusammen. Wir lassen uns nicht einschüchtern. (…) Wir trauern, wir nehmen Anteil und wir sehen, dass wir eins sind in unserer Trauer und einig gegen Hass, Rassismus und Gewalt.“ Das heißt nicht unbedingt, dass Steinmeiers Aussage nicht kritikwürdig ist. Doch erkennt man in diesen Aussagen zumindest einen gewissen Mehrwert, den die Bevölkerung davon trägt. 

Bei Alexander Gauland sieht das allerdings anders aus. Anteilnahme findet man bei ihm nur begrenzt, was viele Kritiker*innen der AfD nicht wundert, da Parteimitglieder und Bundestagsabgeordnete der AfD regelmäßig Hetzte gegen Migrant*innen und Ausländer*innen betreiben. Gauland selbst äußerte beispielsweise schon Aussagen wie „Der Islam ist ein Fremdkörper“ oder „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben”. Diese Aussagen machen Gaulands Position zu Menschen mit Migrationshintergrund ziemlich deutlich.

In der Tagesschau um 20 Uhr am Tag nach der Tat wurde Gauland dann zu Hanau interviewt und sagte folgendes: „Terror ist es ja meistens erst, wenn irgendein politisches Ziel erreicht werden soll. Bei einem völlig geistig verwirrten sehe ich kein politisches Ziel, insofern bin ich vorsichtig mit dem Begriff Terror und von links und rechts wollen wir hier gar nicht reden, das ist ein Verbrechen.“  Er relativiert und pathologisiert den rechtsextremistischen Anschlag, spricht diesem jedwede politische Motivation ab. Einen rassistischen Mord als Tat eines alleine handelnden Geisteskranken zu bezeichnen trennt diesen von allen Strukturen und rechtsextremistischen Strömungen in unserer Gesellschaft, dessen Betrachtung für die Aufklärung der Tat von Hanau so wichtig ist. Gaulands Aussage hat also für das Publikum keinen erkennbaren Mehrwert, außer, dass sie die Position der AfD zum Thema Rechtsextremismus sehr deutlich macht. 

Journalist*innen haben in solchen Situationen natürlich den Anspruch, unparteiisch zu berichten und „alle Seiten“ zu Worte kommen zu lassen. Doch heißt das zwingend, dass man der rechtsextremen AfD diese Plattform bieten muss, wenn man stattdessen auch tiefer auf die Hintergründe des Rechtsextremismus in Deutschland eingehen könnte? Oder man Vertreter*innen der Betroffenen Minderheitengruppen, wie zum Beispiel kurdische Organisationen oder den Zentralrats der Sinti und Roma einladen und vermehrt zu Worte kommen lassen könnte? Muss man, nur weil die AfD demokratisch gewählt wurde, zulassen, dass sie zu allem ihre Meinung unkommentiert verbreiten können? Gefährdet nicht sogar gerade das die Integrität des Journalismus?

Volker Herres, der Programmdirektor des Ersten Deutschen Fernsehens, formuliert die Leitlinien der ARD wie folgt:

»Gerade heute ist es wichtiger und dringlicher denn je, der fortschreitenden Zersplitterung etwas Verbindendes und Verbindliches entgegenzusetzen. In einer Zeit der Verunsicherung, der Unübersichtlichkeit und des Umbruchs übernimmt Das Erste eine wichtige Ankerfunktion, denn es bietet Orientierung, Einordung (sic!) und Aufklärung in einer globalisierten, multiperspektivischen Welt. Ein Programm, in dem die großen Themen und alltäglichen Sorgen der Bevölkerung aufgegriffen, reflektiert und diskutiert werden. Ein Programm, das sachlich, faktenbasiert und unaufgeregt, wirklichkeitsnah und offen für alle Menschen und Meinungen ist.«

Wichtig sind hier besonders die Punkte, dass die ARD die Sorgen der Bevölkerung aufgreift und offen für alle Menschen und Meinungen ist. Das klingt so erstmal demokratisch. Schwierig wird es dann aber bei der Berichterstattung über die AfD, die auf dem Papier eine demokratische gewählte Fraktion im Bundestag ist und über die demnach auch berichtet werden muss. Spätestens aber bei der Beitreibung von Hetze und der Verbreitung von Hass, Dinge die bei der AfD Alltag sind, sollten sich die Medien genau überlegen, wie sie berichten. Denn Rassismus ist keine Meinung. Und wer Rassist*innen unkommentiert ihre Meinung sagen lässt, der verstößt gegen die selbstgemachte Leitlinie, die Sorgen der Bevölkerung aufzunehmen und zu reflektieren, da man nicht-weiße Menschen so außen vor lässt und vor den Kopf stößt. 

Es ist also durchaus eine Überlegung, Alexander Gauland (und seine Kolleg*innen von der AfD) nur Statements zu Hanau oder ähnlichen Anschlägen abgeben zu lassen, wenn dies im direkten Anschluss ausführlich eingeordnet und kritisiert wird, denn die Strukturen, die hinter solchen Aussagen stecken, sind gefährlich für Minderheiten in Deutschland und müssen unbedingt beleuchtet werden. Sollte einem diese Einordnung zu viel Platz in einer Sendung wegnehmen, wäre es durchaus denkbar, die AfD und Gauland komplett wegzulassen (denn der Platz für eine ausführliche Einordnung muss sein) und an ihrer statt mehr auf die Stimmen der Betroffenen einzugehen, da ihre Aussagen mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit einen größeren Mehrwert für die Zuschauer*innen der Tagesschau, des heute-journals und von phoenix vor ort haben. 

 

Lisa Pauli
studiert im Master Politikwissenschaft. Zu meinen Interessen gehören vor allem soziale Themen wie soziale Gerechtigkeit, LGBTQ+ Themen, sowie lokaler Aktivismus.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert