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Kurzgeschichte: Prinzessin Instagram

Ein royales Leben scheint auf den ersten Blick vielleicht unkompliziert, doch das Leben als Prinzessin bietet allerlei Tücken – vor allem, wenn man es auf Instagram teilt.

Ein modernes Märchen von Katrin Fuchs mit Illustrationen von Anke Fuchs.

Es war einmal eine anmutige Prinzessin, die lebte mit ihrem Vater in einem Schloss so groß wie Bremen. Ihre Mutter war das Leben im Palast leid geworden und so war sie schon kurz nach der Geburt mit einem Tunichtgut in Richtung Auenland durchgebrannt. Obwohl sie ein Einzelkind war, war die Prinzessin nie allein. Sie hatte allerlei Zofen und Bedienstete, die ihr hinterherräumten und ihr das wohlgeformte Hinterteil puderten. Doch der König, ein überaus sympathischer Mann, hatte ihr eingebläut, dass Gesindel nicht für Freundschaften tauge und so sprach sie nur das Nötigste mit dem Personal. Auch die stundenlangen Telefonate mit dem Prinzessinnen-Stammtisch der Vereinigten Königreiche, in denen es eh nur um Ballkleider, Nagellack und den Hochzeitsmarkt ging, führte sie nur widerwillig. 

Stattdessen kommunizierte sie fast pausenlos mit ihren 52.738 wahren Freunden. Ihr Feed war voll mit Fotos der niedlichen Schlosshündchen, der üppigen Abendessen und der neuesten Frisurentrends. Unter jedem Selfie prangte der Hashtag #nofilter, dafür half die Prinzessin ihrer natürlichen Schönheit mit Extensions, Implantaten und Permanent Makeup auf die Sprünge. Es war ein gutes Leben, dass sie bei Instagram zeigte, und ihre Follower liebten die exklusiven Einblicke ins royale Leben.

Eines Tages stürmte ihr Vater in ihre Gemächer, denn er hatte Kunde von etwas Ungeheuerlichem erhalten. 

„Was fällt Dir eigentlich ein?!“, brüllte er so laut, dass die Prinzessin zusammenzuckte und die Bediensteten versuchten, mit der Wand zu verschmelzen. „Selfies mit tiefem Ausschnitt und Duckface gehören sich nicht für eine Prinzessin!“ 

„Ach komm, ist doch nicht so tragisch. Und woher weißt Du denn überhaupt, was ein Duckface ist?“, antwortete die Prinzessin schnippisch. Dies brachte den König nur noch mehr auf die Palme, denn er war ohnehin ein Choleriker.

„Es reicht! Ich verstoße Dich! Sieh doch zu, wo du mit deinen Bildchen bleibst!“ Jetzt verstand auch die Prinzessin den Ernst der Lage und warf sich theatralisch vor ihrem Vater auf die Knie. 

„Aber das kannst Du doch nicht machen! Es waren doch nur ein paar Bilder. Das machen alle so und ich brauche doch die Likes. Bitte, großer König und Vater, sei güt…“ 

„Vergiss es, das Maß ist voll!“, unterbrach er sie. „Entweder du packst deine Sachen und gehst oder du packst deine Sachen und fährst!“ Mit diesen Worten drehte sich der König ruckartig um und stürmte aus dem Raum. Leider war sein goldbesetzter Umhang zu schwer, um dabei effektvoll zu flattern, so wie er es aus Superheldenfilmen kannte. Doch alle Anwesenden hatten seine Botschaft verstanden, und so begannen die Zofen und Diener unverzüglich und lächelnd damit, die Koffer der Prinzessin zu packen. 

Copyright: Anke Fuchs

Es verging nicht viel Zeit, bis die Prinzessin mit nichts außer drei Louis Vuitton Taschen, einem Kleidersack, einer Schuhbox und ihrem Beauty Case vor den Schlossmauern stand. „Schöne Scheiße“, murmelte sie und winkte die nächste Kutsche heran. Diese brachte sie ins Nachbarkönigreich, wo sie bei einer ihrer Prinzessinnen-Freundinnen unterkam, die inzwischen geheiratete hatte und Königin war. Das Schloss war zwar nicht ganz so groß wie das ihres Vaters, reichte aber für ausführliche Roomtouren und zahlreiche Spiegel-Selfies. Die beiden tranken Tee im Rosengarten, ritten durch die Ländereien und spielten „Zwerg, ärgere Dich nicht“, so wie man das als royale Freundinnen eben tat. 

Eines Tages suchte die Prinzessin nach neuen Foto-Locations und streifte durch das Schloss. Als sie hinter einem schweren Vorhang eine versteckte Tür entdeckte, traute sie ihren Augen kaum. Das musste sie sofort ihren Freunden erzählen und so startete sie einen Livestream. 

„Hi Leute, ich bin´s wieder, eure Prinzessin!“, flötete sie in die Kamera. „Guckt mal, was ich hier entdeckt habe. Mega aufregend!“ Sie drückte die Klinke herunter und zog die Tür langsam auf. 

Im Schloss ihres Vaters hatte es so viele Räume gegeben, dass die Prinzessin keine Überraschungen erwartete, doch was sich hinter dieser Tür versteckte, ließ ihr den Mund offenstehen. Es war ein langer, fensterloser Raum, dessen Wände komplett mit rosa Blümchentapete bedeckt waren. Auf dem Boden lagen Bauklötze und ein weißes Schaukelpferd, und am Ende stand ein weiches Bettchen. Das Handy darauf gerichtet, näherte sich die Prinzessin langsam dem Bett.

Darin schlief ein Mädchen von etwa zwei Jahren und atmete selig und ruhig die stickige Luft. Erst jetzt bemerkte die Prinzessin die Amme, die sich auf einen Teppich hinter das Bettchen gelegt hatte und ebenfalls schlief. Vorsichtig, um die beiden nicht zu wecken, drehte sich die Prinzessin um und schlich aus dem Raum. Kaum hatte sie die versteckte Tür geschlossen, wandte sie sich wieder ihrem Livestream zu. 

„Boah Leute, habt ihr das gesehen? Krass, sie versteckt hier einfach mal ein Kind! Ich wette, hier gibt es noch mehr Geheimnisse zu entdecken!“ Eifrig lief die Prinzessin durch das Schloss, schaute hinter jeden Vorhang und zog an jedem Buch in der Bibliothek, doch sie fand keine weiteren Geheimräume. Die Nachricht vom Kind der Königin verbreitete sich jedoch rasend schnell in den gesamten Vereinigten Königreichen und so dauerte es nicht lange, bis ein kleines, verschrumpeltes Männchen im Schloss auftauchte. Die Prinzessin schaute angewidert an dem Männchen herab.

„Kusch, kusch!“, versucht sie es zu vertreiben, doch das Männchen lief schnurstracks zum geheimen Kinderzimmer, murmelte dabei irgendetwas von Betrug und einer Abmachung und nahm das Kind mit sich. Die Amme versuchte noch das Kind zu schützen, doch konnte sie am Ende nur zusehen, wie das Männchen mit ihrem Schützling verschwand. So blieb ihr nichts anderes übrig, als der Königin von dem Unglück zu erzählen.

Die Königin war so traurig über den Verlust ihres Kindes, dass alle Tränen des Königreichs nicht ausreichten. Doch noch stärker als ihre Trauer war ihre Wut. 

„Was fällt Dir eigentlich ein?!“, stellte sie die Prinzessin zur Rede. „Zwei Jahre schaffe ich es mit Müh und Not, mein Kind vor allen zu verstecken, und Du zeigst es einfach so auf Instagram?“ 

„Ja sorry. Ich konnte ja nicht wissen, dass das ein Geheimnis ist. Und wer war überhaupt dieses hässliche Männchen?“ konterte die Prinzessin. Doch die Königin war nicht zu Erklärungen bereit, sondern ließ die Prinzessin abführen und unverzüglich vor das Schlosstor bringen. 

Copyright: Anke Fuchs

„Schöne Scheiße“ murmelte sie, denn jetzt stand sie ohne ihre drei Louis Vuitton Taschen, ihren Kleidersack, ihre Schuhbox und ihr Beauty Case vor den Schlossmauern. „Aber immerhin habe ich mein Handy noch.“ 

Sie winkte eine Kutsche heran, die sie ins nächste Königreich bringen sollte. Doch der Kutscher ließ sie nicht einsteigen, sondern fragte misstrauisch: „Kannst du die Fahrt denn überhaupt bezahlen?“ 

„Weißt Du etwa nicht, wer ich bin?“ echauffierte sich die Prinzessin. „Mein Vater, der König des Nachbarkönigreiches, wird für die Fahrt bezahlen.“ Doch der Kutscher lachte nur. 

„Das kannst du vergessen. Jeder weiß, dass er dich verstoßen hat. Schönen Tag noch.“ Und mit diesen Worten trieb er seine Pferde an und fuhr davon. Widerwillig machte sich die Prinzessin zu Fuß auf in die nächste Stadt. Dort angekommen suchte sie ein Gasthaus und fragte nach einem Zimmer und einem warmen Abendessen. 

„Kannst du das denn auch bezahlen?“, fragte der Wirt. Selbstbewusst antwortete die Prinzessin: „Natürlich, aber erst beim Check-Out morgen früh. Wer weiß, ob ich mit dem Zimmer zufrieden sein werde?“ Der Wirt willigte ein und so hatte die Prinzessin zumindest für eine Nacht ein Dach über dem Kopf. 

Auch wenn sie sich in der Welt der gewöhnlichen Menschen nicht auskannte, hatte sie zumindest verstanden, dass sie ohne Geld nicht weit kam. Doch wie sollte sie bis morgen früh an Geld kommen? Die Prinzessin zückte ihr Handy, öffnete Instagram und riss die Augen auf. Nur noch 2.631 Follower waren ihr geblieben, nachdem die Königin einen Shitstorm gegen sie ausgelöst hatte. 

„Schöne Scheiße. Damit brauche ich wohl gar nicht erst an Werbedeals zu denken.“, brachte sie ihre Situation auf den Punkt. Da sie ihr Leben lang nur Prinzessin gewesen war und außer Instagram nichts konnte, suchte sie bei Google nach „im Internet schnell Geld verdienen“. Drei Klicks später hatte sie einen Account bei OnlyFans angelegt. Jetzt wurden zwar etwas andere Bildchen von ihr verlangt, aber sie dachte sich: „Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen“ und legte los. 

Am nächsten Morgen hatte sie zwar kaum geschlafen, aber die ersten Goldmünzen verdient und so verlängerte sie ihr Zimmer im Gasthaus direkt um eine ganze Woche. Ihre früheren Investitionen in Extensions, Implantate und Permanent Make-Up hatten sich gelohnt und so erreichte die Prinzessin schnell Tausende Follower, die ihr ein ganz ordentliches Leben ermöglichten. 

Eines Tages, die Prinzessin wollte gerade in ein Dessous-Geschäft gehen, sprach sie ein großer, blonder Mann an. „Oh holde Maid, ich bin der Herrscher des fernen Elbenlandes und bin in die Vereinigten Königreiche gereist, um mir eine Braut zu suchen. Eure Schönheit blendet mich und so bitte ich euch: Kommet mit mir und werdet meine Frau.“ 

„Herrscher eines fernen Landes klingt gut“ dachte sich die Prinzessin und willigte ein, zumindest einen Kaffee mit dem fremden Verehrer trinken zu gehen. Das erste Date verlief so gut, dass sie sich noch ein zweites und drittes Mal trafen, und mit der Zeit gewöhnte sich die Prinzessin sogar an die komischen Ohren des Elbenmannes. Außerdem wurden die Ansprüche ihrer Follower auf OnlyFans immer skurriler und sie sehnte sich danach, nicht mehr selbst für ihren Lebensunterhalt verantwortlich zu sein. So kam es, dass die Prinzessin in die Kutsche des Elben stieg, um mit ihm in das Elbenland zu fahren und seine Frau zu werden. Dort angekommen, bestaunte sie die Schönheit der fremden Kultur und war ganz und gar zufrieden mit ihrer Entscheidung. 

Als sie gerade damit beschäftigt war, die Hochzeitsvorbereitungen zu beaufsichtigen, stürmte ihr Verlobter auf sie zu. 

„Was fällt dir eigentlich ein?!“, zischte er mit zusammengebissenen Zähnen. Diesmal konnte sich die Prinzessin wirklich nicht vorstellen, was sie falsch gemacht haben sollte, aber sie wusste, dass diesen Worten nichts Gutes folgen würde. „Mein Stallmeister hat mir diese Fotos von Dir gezeigt“, sagte der Elb und zückte sein Handy, auf dem der OnlyFans-Account der Prinzessin geöffnet war. „Das gehört sich nicht für eine zukünftige Herrscherin des Elbenlandes! Es bricht mir das Herz, aber ich kann dich nicht heiraten.“ 

Der Prinzessin kamen die Tränen, denn all ihre Hoffnung auf ein neues Leben war dahin. Enttäuscht und wütend rannte sie aus dem Schloss und in den Wald hinein. Blind vor Tränen und einsam in der fremden Kultur lief sie immer weiter, bis der Wald einer kargen und dunklen Landschaft wich. Sie lief noch weiter, bis es keinen Mobilfunk-Empfang mehr gab und ward nie mehr gesehen.