Eine Reise nach Berlin verläuft für die meisten Touristen nach einem ganz klaren Plan mit „Must-Sees“: Brandenburger Tor, Checkpoint Charlie, Funkturm, Reichstag, Berliner Mauer. Aber das kann es doch noch nicht gewesen sein? Nein, definitiv nicht, denn wer nicht mindestens einmal zu Besuch in Clärchens Ballhaus war, sollte das schleunigst auf die nächste Bucket-List setzen
(Lara Esser)
Schon beim ersten Betreten von Clärchens historischem Ballhaus in Berlin Mitte wird klar: Dieser Abend wird nicht nur ein kulinarisches Erlebnis. Lateinamerikanische Musik beschallt den großen Saal und auf dem Weg zum Tisch muss man sich an konzentrierten Tanzpaaren vorbeischlängeln, die auf der großen Fläche in der Saalmitte, mehr oder weniger holprig, ihre ersten Tanz-Schritte machen. Montag ist Salsa-Abend. „Un, dos, tres, paso básico!“ ruft der lateinamerikanische Tanzlehrer seinen Schülern von der Bühne aus zu und begibt sich unter die Tanzenden, um ihnen zu zeigen, wie man ein bisschen mehr Fuego (dt: Feuer) in die Bewegungen bringen kann. Rundherum sitzen schaulustige Gäste und lassen sich bei Pizza, Pasta, Wein und Bier von dem Tanzspektakel unterhalten.
Eine historische Rarität

Ob Fritz Bühler und seine Ehefrau Clara ahnten, dass ihr Tanzlokal auch noch über 100 Jahre nach dessen Eröffnung eine so beliebte Anlaufstelle für Tanzwütige, Hungrige und Schaulustige sein würde? Das „Bühler Ballhaus“, wie es ursprünglich hieß, befindet sich seit 1913 in der Auguststraße in Berlin Mitte und war bis 2003 im Familienbesitz der Gründer und ihrer Nachfahren. Schon damals wurde es im Volksmund jedoch nach seiner ersten Besitzerin benannt und daher liebevoll mit „Clärchens Ballhaus“ betitelt. Clärchens Ballhaus ist eine echte Rarität, denn von den ursprünglichen 900 Berliner Ballhäusern, ist es das einzige, das als Tanzlokal bis heute überlebt hat – gezeichnet von zwei Weltkriegen und mehreren Gesellschaftssystemen.
Ein beliebter Drehort
Die Geschichte von Clärchens Ballhaus ist so beeindruckend, dass sie Maria Wischnewski dazu bewegte 2017 einen gleichnamigen Film darüber zu veröffentlichen. Und auch sonst ist das Lokal ein beliebter Drehort. Bis heute kann man hier an dem Tisch speisen, an dem Brad Pitt und Christoph Walz, als Hans Landa und Aldo Raine, in Inglourious Basterds das Ende des dritten Reiches beschlossen.

Seit 2004 führen Christian Schulz und David Regehr die Lokalität und behielten das traditionelle Flair weitestgehend bei. Die vom zweiten Weltkrieg gezeichnete Außenfassade, die hohen Decken und das Fischgrätenparkett versprühen ihren historischen Charme, während eine Diskokugel in Saalmitte und die mit Lametta geschmückten Wände das ganze ein bisschen mehr „Hipster“ machen – ganz Berlin-Like eben.
Die Speisekarte des Ballsaals ist genauso bunt wie das Publikum. Von der klassischen Berliner Bulette bis zur Italienischen Steinofenpizza ist hier für jeden Geschmack etwas dabei. Zugegebenermaßen wird das Essen hier jedoch schnell zur Nebensache, denn auch nach dem Anfänger-Tanzkurs füllt sich die Tanzfläche über den Abend hinweg schneller als gedacht. Schnell wird klar: Das Ballhaus ist ein fester Treffpunkt für jung und alt, groß und klein, allerlei Nationalitäten und vor allem für jeden, der Spaß haben will. Da tut es auch nichts zur Sache, dass es ein Montagabend ist und die meisten am nächsten Tag sicherlich früh raus müssen.
Beschleunigung heißt Entschleunigung
Wer glaubt, dass hier nur eingespielte Tanzpartner auf ihre Kosten kommen, liegt falsch. Hier kann man getrost auch alleine auflaufen und findet garantiert den richtigen Tanzpartner; hier scheint alles vergessen und jeder willkommen. Es werden heiße Pirouetten gedreht und die Füße der Könner bewegen sich so schnell über das Parkett, dass man mit bloßem Auge kaum folgen kann. Wo die Tanzbewegungen beschleunigt werden, erscheint der Alltagsstress entschleunigt. Kopf abschalten und Spaßfaktor aufdrehen.
Clärchens Ballhaus, in dem schon zu DDR-Zeiten Ost und West zusammenkamen, ist nach wie vor ein absoluter Multikulti-Treffpunkt, an dem wohl jeder motiviert wird mit mindestens einem Fuß im Takt zu wippen. Man muss es einfach selbst erlebt haben. Deshalb der Appell an alle, die eine Reise in die Hauptstadt planen: Packt bequeme Schuhe ein und holt schleunigst eure Bucket-List raus, denn ein Besuch bei Clärchens Ballhaus gehört definitiv ganz oben auf die Liste.