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Kreuzberg – Ein Kiez im Wandel

Kaum ein anderer Ort in Deutschland verändert sich so konstant, schnell und vehement wie die Hauptstadt. Ein gesamter Wechsel der Bevölkerung scheint in Berlin stattgefunden zu haben – und mit diesem kommt nicht nur die gefeierte Diversität als Aushängeschild. Auch die negativen Aspekte der urbanen Entwicklungen wie Gentrifizierung erhalten Einzug. Diese Charakteristika und Veränderungen bringen natürlich auch eine Wandlung des Stadtbildes mit sich. Besonders in Kreuzberg ist das zu spüren.

Lisa Victoria Hertwig

Von Mitte aus Richtung Tempelhofer Feld, durch den Bergmannkiez und zum Mehringdamm, entlang des Landwehrkanals und durch den Görlitzer Park bis hin zur Oberbaumbrücke, eingeschlossen des berühmt-berüchtigten Kottbusser Tors erstreckt sich einer der beliebtesten und buntesten Bezirke Berlins. Namensgebend war der Kreuzberg im Viktoriapark, ein idyllisches Fleckchen inmitten einer vibrierenden, alternativen Kiez-Kultur. Eigentlich ist die gesamte Geschichte von solchen scheinbaren Gegensätzen geprägt, jedenfalls war Kreuzberg immer schon ein Ort der Andersartigkeit. Ein Ort, an dem aber nicht nur gefeiert und gelacht wurde, sondern einer, der regelmäßig gegen Ungerechtigkeiten und Einschränkungen symbolisiert wurde. Ein Ort der Rebellion.

© Lisa Hertwig
© Lisa Hertwig

In diesem Sinne versammelten sich zu DDR-Zeiten und auch nach dem Mauerfall Systemkritiker*innen, Künstler*innen und andere Aufmüpfige – schlichtweg Andersdenkende, vereint durch eine linksliberale Einstellung und dem Wunsch nach Freiheit und Selbstverwirklichung. Das muss wohl auch die Phase gewesen sein, in der sich eine alternative Untergrundszene entwickelt hat: mit geheimen Veranstaltungen in Clubs, internationalem Flair, dem liberalen Umgang mit Alkohol und Drogen, aber eben auch dem Geist einer freien und kreativen Gesellschaft. In mystische Erinnerung an diese Zeit zieht es auch Jahre später noch Menschen von diesem Schlag nach Kreuzberg, heutzutage vor allem Studierende und Sich-Suchende. Ein beispielhafter Hotspot dieser urbanen Entwicklung ist der Wrangelkiez.

Fluch und Segen

Das Nachbarschaftsbild ist geprägt von Unterschieden, die aber nicht trennen, sondern verbinden. Schlendert man die Hauptstraße im Wrangelkiez entlang – und dieses Bild bietet sich überall in diesem Bezirk – scheint einem die Welt zu Füßen zu liegen: Ein bisschen Portugal zum Frühstück in Form von köstlichen Pastéis de Nata, Wocheneinkauf erledigen in der Türkei und ein belgisches Bierchen in der Kneipe oder auf die Hand beim Späti um die Ecke. Vor allem kulinarisch kann man sich durch alle Kontinente probieren und auch das wuselige Sprachwirrwarr zeugt von Internationalität. Das Hippie-Image wich dem Hipstertum. Die Hedonist*innen und Pionier*innen lieben den Freigeist und die Kreativität, wohingegen es den Ur-Kreuzberger*innen womöglich langsam etwas zu bunt wird…

Viele zieht es jedoch genau wegen dieses internationalen Charmes nach Kreuzberg. Dass es nicht immer nach dem Willen der Bevölkerung läuft, schimmert jedoch auch in diesen Straßen langsam durch. Denn ganz so rosig steht es leider nicht mehr um die Freiheit im Kiez. Heutzutage, und das schon seit einigen Jahren, scheint der Wind immer wieder Verdrängung um die Häuser zu wehen – getragen von privaten Gesellschafter*innen und Investor*innen, die Ladenflächen und Wohnungen so teuer machen, dass Spätis schließen müssen und Menschen in Not geraten, irgendwo günstiger unterzukommen. Ein ebenso utopisches wie frustrierendes Ziel. Und zu allem Übel nutzt das Feindbild auch noch gerade die Eigenschaften Kreuzbergs, die es eigentlich ausmacht: Diversität, Street Art und Murals, dass alles ein bisschen schmuddelig, aber ehrlich ist. Von wegen. Dass die Bewohner*innen der Kreuzberger Kieze hier kaum noch überleben können, scheint keine große Rolle zu spielen im Russisch Roulette des Gentrifizierungszahnrads.

Bizim Kiez – Unser Kiez

Neben den zahlreichen privaten Geschichten, zum Beispiel von alleinerziehenden Elternteilen, die für sich und ihre Kinder bezahlbaren Wohnraum in Kreuzberg finden müssen und mit selbstgemalten Flyern und Abreißzettelchen mit Handynummer an jeder Straßenlaterne um Hilfe bitten, ist wohl das Schicksal des Bizim Bakkal-Gemüsehandels der bekannteste Fall: Das seit über 28 Jahren geführte Familienunternehmen sollte 2015 seine Ladenfläche räumen, aufgrund von Renovierungsarbeiten und damit einhergehenden Mieterhöhungen. Daraufhin gründete sich die Nachbarschaftsinitiative Bizim Kiez. Durch die enorme mediale Aufregung und den überwältigenden Zusammenhalt im Wrangelkiez zog der Investor die Räumungsandrohung und die anschließende Kündigung zwar zurück, bot jedoch keinen neuen Mietvertrag an. Die Folge: Jeden Tag musste Familie Ҫalişkan um ihre Zukunft bangen. Letztlich verließen sie den Laden mehr oder weniger freiwillig, aus gesundheitlichen Gründen.

© Yasmin Beyaz, Blog Bizim Kiez
© Yasmin Beyaz, Blog Bizim Kiez

Bizim Bakkal ist kein Einzelfall, die Liste ist lang: die Bäckerei Filou, der Haushaltsladen Bantelmann, der Revolutionsausstatter M99 von Lindenau, zahlreiche Kioske, Bücherläden, Kleiderkisten und so viele weitere liebevolle und authentische Geschäfte, hinter denen vor allem menschliche Existenzen stecken – und bedroht sind. Immer mehr eigenständig geführte Betriebe sollen und müssen Platz machen für Hotelkomplexe, mit Spiegelglas versehrte Büroriesen, Franchise-Boxen und andere 0815-Filialen. Vom einstigen Freiheitsgefühl und einem alternativen Charme bleibt kaum noch etwas übrig, stattdessen Regenschirm-geführte Touristengruppen und Immobilienhaie mit Pomadenfrisur. Das gierige Kapitalismus-Monster kommt diesmal unter dem Namen Gentrifizierung.

Kreuzberg bleibt bunt!

Doch die Kreuzberger*innen lassen sich das nicht gefallen: Das Nachbarschaftsgefühl ist größer denn je, die täglichen Kämpfe gegen Verdrängung und Existenzangst muss keiner allein führen. Nicht zuletzt dank der bereits erwähnten Nachbarschaftsinitiative Bizim Kiez. Auch der Senat nimmt die Unzufriedenheit der Anwohner*innen wahr und reagiert, mitunter angestoßen durch die Proteste gegen den Deutsche-Wohnen-Konzern im vergangenen Monat: Berlin kauft Immobilien wieder auf und gibt den Kiezen somit etwas Selbstgestaltung zurück. Doch ob das ausreicht? Nicht nur Kreuzberg ist von diesem Wandel betroffen, ganz Berlin und natürliche viele weitere Großstädte sind ähnlichen Herausforderungen unterfangen. Wenn immer mehr Menschen in den Städten leben wollen, muss auch immer mehr Wohnraum geschaffen werden.

© Gloria Biberger, Blog Bizim Kiez
© Gloria Biberger, Blog Bizim Kiez

Eine einfache Lösung gibt es dafür sicher nicht, beide Seiten stehen sich irgendwie im Weg. Aber es ist notwendig, nicht über die Köpfe der Kreuzberger*innen hinweg zu entscheiden, sondern sie in den Wandel und die Umgestaltung ihres Kiezes, ihrer Heimat, mit einzubinden. Diese Geschichte ist keine neue, die Hintergründe auch nicht: Wie viel Veränderung hält eine Nachbarschaft aus? Welche Atmosphäre kann Kreuzberg beibehalten und dennoch wettbewerbsfähig sein – und wollen sie das überhaupt? Wer verdrängt hier wen und was?

Veränderung gehört im Leben dazu. Sich vollends dagegen zu wehren und zu verschließen ist ebenso unsinnig wie die Verdrängungstaktik der Gentrifizierung zur Auslöschung bestehender Kiez-Kultur. Und wie so oft im Leben: communication is key. Verständnis, Toleranz und Kompromissbereitschaft auch. Im privaten wie im öffentlichen Raum. Auf eine bunte Zukunft für Kreuzberg – hoffentlich.

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