Wir kennen sie alle – Sätze, wie „Kind, mach‘ etwas Anständiges!“ oder „Aus dir soll mal etwas Vernünftiges werden!“ Dass die Leidenschaft doch gewinnen kann, zeigt der 27-jährige Nico Gomez aus Osnabrück. Er wusste schon immer, dass er mit Musik sein Geld verdienen will. Schritt für Schritt kommt er seinem Traum näher – von schulischen Projekten über das Musikstudium bis hin zur „The Voice of Germany“-Bühne…
Von Kathleen Jung
Er fährt sich durch seine brünetten Haare und krempelt lässig die Ärmel seines Jeanshemdes hoch. Seine Füße wippen ungeduldig im Warteraum hinter der Bühne hin und her. Ihm steht der Auftritt noch bevor. Er wird der letzte Kandidat an diesem Tag sein. Plötzlich wird es ganz still. Sein Herz pocht. Dieses Gefühl hatte er schon öfter. Aber diesmal ist es anders. Diesmal hat er nur 90 Sekunden, um sein Können zu beweisen. 90 Sekunden, um gute Laune zu versprühen. Der Puls steigt. Adrenalin durchströmt seinen Körper. „Nico, du musst auf die Bühne!“ Er kann sich heute nicht mehr genau daran erinnern, wie es war, als er auf die Bühne ging, so aufgeregt war er. Er steht da und sieht Silhouetten. Junge Leute. Alte Leute. Die Blicke voller Erwartung nur auf ihn gerichtet. Der Schlagzeuger zählt ein. „One…Two…Three…Four…PAAFF!“ Er performt den angesagtesten Hit des Jahres. Mit „Blurred Lines“ habe er das Publikum sofort auf seiner Seite, so wurde es ihm von der “The Voice of Germany”-Redaktion versprochen. Und so ist es. Er schmettert dem Publikum und der Jury überzeugend „I know you want it“ entgegen. Und yes, they want it! Euphorisches Jubeln aus dem Publikum. Er ist fokussiert. Locker und selbstbewusst legt er gekonnt seine Dancemoves hin. Plötzlich drückt Samu den Buzzer. Die Meute springt auf und tanzt. Nach und nach drehen sich die Juroren um. Beifallsbekundungen aus dem Publikum. Alles ist gut. Pure Freude. Erleichterung. Vier Mal „I WANT YOU!“ zum Auftakt. Jetzt stehen ihm alle Türen offen…

Vier Jahre ist es jetzt her, dass Nico Gomez mit „Blurred Lines“ von Robin Thicke in den Blind Auditions der dritten Staffel von der TV-Castingshow „The Voice of Germany“ triumphierte. Alle vier Juroren – Max Herre, The Bosshoss, Nena und Samu Haber, Frontmann der Band Sunrise Avenue – stimmten für den damaligen Musikstudenten aus Osnabrück. Mit einem kleinen Moonwalk bedankte er sich damals und entschied sich für die Zusammenarbeit mit Coach Max Herre. „Ich habe mich für Max Herre entschieden, weil er, genauso wie ich, ein großer Fan von Stevie Wonder ist“, erinnert sich Nico in der Pause zu seinen neuen EP-Aufnahmen bei einer Tasse Tee. So schien es auch wenig verwunderlich, dass er den Soul der 70er-Jahre mit „Superstition“ in den Showdowns noch einmal aufleben ließ. Der Funk, das Fender Rhodes Piano und seine Stimme brachten ihn schließlich in die Liveshows. Kurz vor dem Halbfinale schied Max Herres Schützling allerdings aus. Die geschlossene Tür bei „The Voice of Germany“ sollte aber nicht sein persönliches Ende als Musiker bedeuten.
„Die Musik soll meinen Lebensinhalt füllen“
18 Jahre zuvor sitzt Nico aufgeregt vor einem großen Paket, welches nur für ihn bestimmt ist. Seine Augen strahlen. Zu seinem fünften Weihnachtsfest packt er sein erstes Instrument aus: ein eigenes Schlagzeug. Das Gespür und die Leidenschaft für die Musik wurden ihm geradezu in die Wiege gelegt, denn Nico wuchs in einem sehr musikalischen Elternhaus in Kleinbüllesheim bei Euskirchen auf. Langwierige Aufnahmen im heimischen Studio, Konzerte, verschiedene Künstler, die ein und aus gehen, das gemeinsame Musizieren als Familie – all das wurde für Nico schnell alltäglich. Auf den vielen Konzerten seiner Eltern reizte ihn aber eines ganz besonders: das Schlagzeugspielen. Verträumt schaut Nico zu seinem Lieblingsinstrument im Aufnahmestudio. „Als ich noch klein war, nahm ich mir oft Töpfe, um mit Kochlöffeln darauf herumzuhämmern“, schwärmt er noch heute. Die Möglichkeit, sich nach einem Soundcheck an ein großes Schlagzeug zu setzen, habe ihn ganz besonders geprägt: „Anschließend habe ich mich selbst an mein kleines Drumset gesetzt und versucht, mir die Dinge beizubringen, die die großen Schlagzeuger auf den Konzerten spielten.“ Erst danach nahm er Klavierunterricht und lernte später das Singen. Als er daraufhin für SUPER RTL zusammen mit dem Kinderchor des Komponisten Detlev Jöcker auf der Bühne stand, wusste er, dass er einmal von der Musik leben möchte.
Von diesem Moment an war die Musik sein ständiger Begleiter und führte ihn nicht nur in die Big Band seiner Schule, sondern auch an die Musikhochschule in Osnabrück. Dort hatte er das Glück, dass seine Gesangsdozentin als Coach hinter der Bühne von „The Voice of Germany“ arbeitete. Sie erkannte sein Talent, schlug ihn der Redaktion als Kandidaten vor und öffnete Nico damit die Tür zu einer einmaligen Erfahrung. Doch eigentlich wollte Nico nie an einer Casting-Show teilnehmen. Davon hielt er nichts. Für ihn war es immer ein Vorführen von Menschen.
„Musik wurde in so vielen Casting-Shows nicht ernst genommen. Im Prinzip wird einem gezeigt, dass jeder, der nicht singen kann, trotzdem die Chance hat, berühmt zu werden. Und das von Null auf Hundert. Ohne harte Arbeit. Das fand ich unfair.“
Als ihn seine Gesangsdozentin fragte, ob er bei „The Voice of Germany“ teilnehmen möchte, zögerte er und lehnte zuerst ab. Für ihn war es wichtig, Musik in erster Linie für sich selbst und für die Leute zu machen, denen seine Musik gefällt – ohne dabei bewertet zu werden. „Als ich mir dann ‘The Voice‘ anschaute, dachte ich auf einmal: Wow es geht wirklich um deine Stimme! Die können ja alle singen“, erinnert sich Nico zurück. Er ließ sich das Ganze noch einmal durch den Kopf gehen – er habe ja eigentlich nichts zu verlieren, die Show habe einen guten Ruf – was solle man da schon falsch machen?
„Ich hatte vergessen, warum ich mitmache“
Nico nahm an den Blind Auditions teil und kam über die aufgezeichneten Battles und Showdowns in die Liveshows. Plötzlich sahen ihn seine Freunde und Bekannten hautnah auf der Bühne und versuchten, ihn zu bewerten, wollten besser wissen, wie er sich auf der Bühne zu geben hat: „Willst du deine Frisur nicht anders tragen? Echt jetzt, dieses Jeanshemd willst du anziehen? Sei mal legerer!“ Auf einmal war Nico dort, wo er am Anfang nie sein wollte – er wurde von anderen bestimmt, seine Musik geriet in den Hintergrund, der Druck stieg: „Ich war schon immer eine Person, die versucht hat, es allen recht zu machen. Gerade die Meinung meiner Freunde ist mir wichtig“, schmunzelt er und fährt sich verlegen durch sein dunkles Haar. „Ich fing an, mit mir selbst in diesen Momenten zu kämpfen, denn ich nahm mir Verbesserungsvorschläge, wie ‘Sing doch mal weniger Schlenker‘ oder ‘Sing doch mal mehr Schlenker‘, zu Herzen.“ Man diskutierte mit ihm über Songauswahl, Interpretation und Outfit – ja, sogar die Farbe seiner Schnürsenkel. Das habe ihn sehr verunsichert. Am Ende habe er vergessen, warum er bei den ersten drei Shows teilgenommen hatte: „Meine Freunde wollten mir ja nur helfen, aber ich wusste dadurch selbst nicht mehr, was ich tun oder lassen soll. In den Live-Shows war ich dann nicht mehr 100-prozentig bei mir.“

Generell habe ihn „The Voice“ aber sehr geprägt: „Ich nehme sehr viel an Erfahrung mit. Ich lernte beispielsweise, wie ich mit der Kamera umzugehen habe, wie ich mit einer erstklassigen Band zusammenarbeite und wie ich das Publikum innerhalb von nur 90 Sekunden überzeugen kann.“ Besonders positiv bleibt für ihn die Arbeit mit dem gesamten Team zurück: „Es war eine einmalige Erfahrung und unvergessliche Zeit – nicht zuletzt wegen den Leuten, die ich dort treffen durfte“, schwärmt Nico. Er lernte die Menschen hinter den Kulissen und seine Mitstreiter näher kennen. Daraus sind schließlich gute Freundschaften entstanden, die er bis heute noch pflegt. Eine Bindung, die nicht abreißt.
Im Einklang mit der Musik
Die Erfahrungen aus „The Voice of Germany“ nahm Nico sich zu Herzen. Noch immer hat er den Funk in den Beinen und den Soul in der Stimme. Doch etwas ist anders. Die Musik und er sind eins geworden. Es ist ihm heute egal, was irgendwer über die Farbe seiner Schnürsenkel sagt. Nach „The Voice of Germany“ wollte er mehr denn je Musik machen und alles mitnehmen, was nur möglich ist – egal ob Swing und Jazz mit Big Bands oder der Band Pimpy Panda, Schmuseballaden mit einem Symphonie-Orchester, soulige Popmusik oder Acapella-Musik mit seiner Band Männersache, eines seiner derzeit größten Projekte. „Es ist momentan viel los. Gemeinsam mit Männersache habe ich im Sommer bei der SAT.1-Show ‘It’s Showtime! Das Battle der Besten‘ teilgenommen und gewonnen“.

Daraus hat sich einiges ergeben: „Wir planen bald mit Männersache unsere eigene EP und auch mit dem Popsänger Wincent Weiss haben wir jetzt zusammengearbeitet und gehen bald mit ihm auf Tournee“, erzählt der vielseitige Musiker euphorisch im Nebenraum des Kölner Aufnahmestudios. Da bleibe oftmals aber auch sehr wenig Zeit für ein Privatleben: „Zum Glück stehen meine Freunde und meine Familie immer hinter mir. Sie verstehen mich in allem, was ich tue.“ Für Nico ist das eine große Hilfe, denn von der Musik zu leben, bedeutet vor allem auch ständig unterwegs zu sein. „Cro bringt es in seinem Song ‘Jeder Tag‘ ganz gut auf den Punkt. Es heißt: Meine Gang, sie fahren wieder raus, gehen an den See, ich bade in Applaus.“ All seine Freunde erleben gerade etwas miteinander, nur Nico kann nicht dabei sein. Er steht auf der Bühne und singt. Aber das macht nichts. Denn es ist das, was er immer machen wollte. Das, was ihn erfüllt. Neben all seinen Auftritten arbeitet der mittlerweile 27-Jährige auch noch an seiner Solo-Karriere. Zusammengetan hat er sich mit einem Kölner Produktionsteam, welches ihn „zu 100 Prozent musikalisch versteht.“ Momentan produzieren sie seine neue EP mit deutschen Songs. Der Vollblutmusiker gibt zu, dass seine EP den einen oder anderen sicherlich überraschen wird. Denn nach außen habe er oft versucht, einen ganz bestimmten Stil zu verfolgen. Jetzt habe er seinen ganz eigenen, persönlichen Stil gefunden – und die passenden Schnürsenkel noch dazu.