2021 veröffentlichte die HyperEditor – eine durch künstliche Intelligenz betriebene Analyseplattform – die Ergebnisse der ersten globalen Umfrage zum Verdienst von digitalen Influencern. Diese Befragung rechnete insgesamt mit 1.865 Teilnehmenden, die mehr als 1.000 Abonnenten auf Instagram haben. Sie ermittelte, dass das Einkommen von 49 Prozent der Befragten durchschnittlich bei 2.970 US-Dollar im Monat gelegt habe. Die Umfrage berichtete ebenfalls, dass 47 Prozent der Beteiligten seit dem Ausbruch der Pandemie einen Anstieg ihrer Einkünfte auf Instagram festgestellt haben.
Nur 4 Prozent der interviewten Influencer verdienen ihren Lebensunterhalt vollständig über Instagram – ca. 5.912 US-Dollar im Monat. Trotz dieses niedrigen Anteils erweist sich das soziale Netzwerk als ein wichtiges Mittel, das für Ergänzungen der Einnahmen vieler Menschen, die sich derzeit mit dem Internet beschäftigen, sorgt. Die Arbeit als Content-Creator ist auch eine Alternative für diejenigen, die heute arbeitslos sind.
Die Erhebung zeigte außerdem, dass erfolgreiche Influencer von einem angesagten Restaurant knapp 5.000 Euro für einen geposteten Beitrag mit einem Foto eines exklusiven Getränkes oder eines Gerichtes bezahlt bekommen können. Warum sei die Beschäftigung von Influencern in den letzten Jahren so attraktiv für einige Unternehmen geworden? Dies liege vor allem an der hohen Anzahl von Angehörigen einer bestimmten Zielgruppe, die schnell Produkte verschiedener Marken wahrnehmen können. Authentizität und ein hohes Maß an Vertrauen durch die Kommunikationsaktivitäten von Digital-Creators seien ebenso wichtige Punkte, welche sich auf das Interesse mehrerer Geschäfte am Influencer-Marketing beziehen.
In diesem vielfältigen und kompetitiven Umfeld mit vielen kreativen Menschen befindet sich Ana Carolina, die durch ihre Social Media Accounts als Carol bekannt worden ist. Die 21-jährige Influencerin ist in der großen Stadt São Paulo geboren und im nordöstlichen brasilianischen Bundesstaat Bahia aufgewachsen. Neben ihrem derzeitigen Studium der Psychologie an der Universität von Bahia und einem Praktikum in einer Praxis beschäftigt sie sich darüber hinaus mit Inhalten für ihre zwei Instagram-Seiten und ihren Kanal auf YouTube.
Ihre erste Erfahrung mit digitalen Inhalten hat sie 2016 gesammelt, als sie gemeinsam mit ihrer Schwester einen Kanal auf YouTube erstellt hat. Beide haben damals Videos mit humoristischen Inhalten produziert und aufgenommen. Der Kanal war nur für eine kurze Zeit abrufbar, da die Geschwister an diesem Projekt nicht weiter arbeiten konnten. „Wir konnten keine Videos mehr aufnehmen und bearbeiten, weil unser gemeinsames Handy kaputt gegangen war“, erklärte Carol.
2018 hat sie ihr erstes Profil namens A cor da palavra – Farbige Wörter – auf Instagram eröffnet, wobei sie unter anderem ihre Gedichte, Zeichnungen, literarische Tipps sowie verschiedene Aspekte ihres Alltages gepostet hat. Doch sie hat sich einige Monate nach der Eröffnung ihres ersten Profils mit anderen Themen befasst, als sie eine unangenehme Situation, in welcher sie Opfer von Rassismus wurde, erlebt hatte.
„Ich war auf dem Weg zur Schule. Ein Mann tauchte gegenüber von mir auf. Plötzlich hat er angefangen, mich anzuschreien und mich zu beschimpfen. Er hat mich ‚Äffin‘ genannt. Ich war damals schockiert, weil ich noch nie zuvor so offensichtlich von Rassismus betroffen war. Ich wusste, dass er sich auf meine dunkle Hautfarbe bezogen hat und dass ich diskriminiert wurde. Allerdings wusste ich nicht, was genau diese Diskriminierung war. Daraufhin habe ich mit meiner besten Freundin und Mitschülerin, die auch Schwarz ist, darüber gesprochen. Sie hat mir gesagt: ‚Carol, das, was du erfahren hast, heißt Rassismus‘“, erzählte die Influencerin.
Glücklicherweise hat das unglückliche Geschehen dazu geführt, dass etwas Positives daraus entstanden ist. Am 1. Januar 2019 wurde A cor da palavra gelöscht und durch Pretitudes ersetzt. Diese neu eröffnete Instagram-Seite würde hauptsächlich das Thema Rassismus gegenüber Schwarzen fokussieren, um Erfahrungen austauschen, Opfern psychologische Hilfe leisten und die historischen Aspekte der rassistischen Diskriminierung veranschaulichen zu können.
Der Name dieses Profils besteht aus der Kombination des Wortes pret- mit dem lateinischen Suffix –(i)tude. Im Portugiesischen benenne -pret sowohl die schwarze Farbe als auch die schwarze Hautfarbe. –(i)tude bedeute wiederum einen Zustand bzw. eine Eigenschaft, behaupten Camila Timm und Lúcia Sá Rebello, Professorin für die Grammatik der portugiesischen Sprache an der bundesstaatlichen Universität von Rio Grande do Sul.
Carols Ziel war es nicht nur, einen digitalen Raum zu eröffnen, wo Informationen zu Rassismus zu finden seien, sagte sie. Vielmehr wollte sie einen Raum einrichten, in welchem Schwarze Menschen ihre Stimme benutzen können, um ihre eigenen persönlichen Erfahrungen als Schwarze in der Gesellschaft zu vermitteln.
Nach und nach ist die Anzahl von Abonnenten ihrer Seite gestiegen. Derzeit zählt Pretitudes nahezu 456 tausend Followers. Darunter sind berühmte Künstler und Aktivisten. „Diese Anzahl ist ziemlich hoch für ein Profil, das mit keiner finanziellen Förderung und ohne die neuesten technologischen Mittel auskommt“, so Carol. Die digitale Beeinflusserin erzählte auch, dass sie heute zusammen mit einem Freund aus der Universität an der Produktion von Inhalten arbeite.
Außer der Seite Pretitudes kümmert Carol sich um ihre persönliche Instagram-Seite. Diese heißt Eta nega und hat ca. 79 tausend Abonnenten. Dort führt sie nicht nur Diskussionen nicht über Rassismus, sondern auch über Feminismus, Monogamie, Schönheit, Mode und Christentum. Ebenso findet man dort lustige Videos über aktuelle Themen, mexikanische Lieder und Sexualität.
“Ich kenne viele weiße Bloggerinnen, die mehr Geld verdienen oder mehr Anfragen von Marken als ich bekommen (…)”
Die Beschäftigung mit dem Internet könne sehr stressig sein. „Für mein eigenes Profil mache ich alles allein. Ich denke über die Inhalte nach, mache Recherchen und Fotos, schreibe die Texte dazu, denke mir Szenarien aus und schneide die Videos. Für die meisten Inhalte werde ich nicht bezahlt. Manchmal habe ich einfach keinen Bock zugeschaltet zu sein. Trotzdem muss ich etwas machen, weil meine Abonnenten denken, dass ich täglich etwas produzieren muss“, erklärte Ana Carolina.
Ihre Intention sei niemals gewesen, Geld mit ihren Inhalten zu verdienen, sondern sich für soziales Arbeiten zu engagieren. Durch die gestiegene Popularität ihrer Accounts seien jedoch mit der Zeit auch bezahlte Werbeaktionsangebote erschienen. Allerdings hoffe sie nicht, dass sie ihren Lebensunterhalt zukünftig ausschließlich über die sozialen Medien verdiene. Sie erklärte, dass Plattformen, welche digitale Inhalte monetisieren, nicht viel Geld dafür ausgeben. Darüber hinaus müsse man echtes Glück haben, sehr kreativ sein, ständig Lives bzw. interaktive Inhalte produzieren und wirklich viele Abonnenten haben, um seinen Lebensunterhalt ausschließlich über die sozialen Netzwerke verdienen zu können.
„Man muss an vielen Werbeaktionen von berühmten Marken und bekannten Produkten teilnehmen“, so Carol. Diese Angebote habe sie jedoch auf Grund Ihrer Hautfarbe nur in geringerem Maße bekommen als weiße Influencer*innen.
2021 wurde in Brasilien durch YouPix, eine Medienagentur und -berater für Influencer-Kommunikation, die erste Umfrage zum Verdienst von brasilianischen schwarzen Influencern durchgeführt. Das Ziel dieser Studie war es, die Auswirkungen des strukturellen Rassismus auf den Arbeitsmarkt von Digital-Creators bekannt zu geben. 760 Influencer haben an dieser Befragung teilgenommen. Darunter bezeichneten 57 Prozent der Befragten sich als weiß; 22 Prozent, als Mestizen – Nachfahren europäischstämmiger und afrobrasilianischer bzw. einheimischer Bevölkerung; 17 Prozent, als schwarz; 3 Prozent, als gelb – Gruppe mit asiatischen Vorfahren; und 1 Prozent, als brasilianische Einheimische.
Die Umfrage berichtete, dass die höchste Einnahme von schwarzen Influencern durchschnittlich bei R$ 1.623,83 (reais) gelegen habe. Bei weißen Influencern habe ihre höchste Einnahme bei R$ 4.181,01 gelegen. „Ich kenne viele weiße Bloggerinnen, die mehr Geld verdienen oder mehr Anfragen von Marken als ich bekommen, obwohl unsere Seiten die gleiche Anzahl von Abonnenten oder Reichweite haben. Mit meiner Seite Pretitudes erreiche ich monatlich über eine Millionen Menschen“, erzählte Carol.
“Folgt Seiten von schwarzen Menschen. Gebt Likes, kommentiert und teilt ihre Inhalte.”
Ferner zeigte die Erhebung, dass „Zuhause und Bau“ auf dem 3. Platz der Liste beliebtester Themen schwarzer Influencer stehe. Sie bekommen allerdings viele Anfragen, um über das Thema „soziale Auswirkungen“ im Zusammenhang mit geschäftlichen Kampagnen zu debattieren, obwohl dieses Thema auf dem 11. Platz der obengenannten Liste liege. Weitere wichtige Punkte, die zu beobachten seien, seien die Häufigkeit sowie die Zeit des Jahres, in welcher die Angebote erscheinen. Der Studie zufolge würden sie fast ausschließlich in November stattfinden. Am 20. Tag dieses Monates wird in Brasilien der Tag des Schwarzen Bewusstseins – Dia da consciência negra – gefeiert. In dieser Zeit machen viele Geschäfte Aktionen, damit sie als inklusive bzw. tolerante Firmen angesehen werden. „Es gibt schwarze Finanzberater, die über Finanzen diskutieren wollen. Es gibt schwarze Künstler, die ihre künstlerische Arbeit zeigen wollen. Was wäre, wenn ich in meinen Seiten Kuchenrezepte mit meinen Abonnenten teilen wollte? Manchmal fühle ich mich behandelt, als wäre ich kein Mensch; als wäre Rassismus das einzige Thema, über welches ich diskutieren kann“, kritisierte die brasilianische Influencerin.
„Es gibt schwarze Finanzberater, die über Finanzen diskutieren wollen. Es gibt schwarze Künstler, die ihre künstlerische Arbeit zeigen wollen. Was wäre, wenn ich in meinen Seiten Kuchenrezepte mit meinen Abonnenten teilen wollte? Manchmal fühle ich mich behandelt, als wäre ich kein Mensch; als wäre Rassismus das einzige Thema, über welches ich diskutieren kann“, kritisierte die brasilianische Influencerin.
Ana Carolina sagte darüber hinaus, dass sie Angebote einiger großen Firmen angenommen habe. Doch sie arbeite sehr gerne mit Schwarzen, die kleine Geschäfte haben, weil sie es für sehr wichtig halte, Sichtbarkeit für ihre Arbeit zu schaffen. „Wir müssen immer zeigen, vielleicht mehr als alle anderen, dass wir gut in dem sind, was wir machen. Deswegen nehme ich immer die Angebote von Menschen an, welche eine ähnliche Geschichte haben wie ich“, erklärte sie. Um schwarze Influencer zu unterstützen und Rassismus hinter den Algorithmen zu bekämpfen, hat sie auf etwas hingewiesen – „Folgt Seiten von schwarzen Menschen. Gebt Likes, kommentiert und teilt ihre Inhalte“, beendete sie.