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Elsewhere – eine Symbiose von Musik und Natur

Fünf Studenten, die ihre Koffer packen und mit dem Wohnmobil quer durch Osteuropa reisen. Klingt wie ein abenteuerliches Auslandssemester, war in Wahrheit aber die Osteuropatour des DJ-Kollektivs Elsewhere. Marco von Elsewhere erzählt von DJ- Sets an Wasserfällen und Zickereien im Wohnwagen.

Von Marvin Van Daele

Große Ideen entspringen oft banalen Ausgangssituationen. Man denke da an Sir Isaac Newton, der eines schönen Nachmittags in seinem Garten in England gesessen haben soll und dabei von einem herunterfallenden Apfel an seinem Kopf getroffen wurde – das Ergebnis ist bekannt, das Gravitationsgesetz hat die Forschung und unseren Blick auf die Welt gravierend verändert. Ganz so weitgreifende Folgen haben die Jungs in dieser Geschichte zwar noch nicht erreicht, doch was nicht ist, kann ja noch werden – der Start ihrer Geschichte ist jedenfalls ähnlich simpel: Eines Abends saßen die Siegener Studenten Marco, Timo, Tom, Raphael und Julius gemeinsam auf dem Sofa, lauschten verschiedenen Techno-Sets und begannen dabei darüber zu philosophieren, wie sich ihre Musik wohl in der passenden Natur anhören würde – der Grundstein für die Elsewheretour war gelegt: „Da lief gerade ein Techhouse-Song und ich hab mir vorgestellt ich wäre gerade am Strand in Badehose, trinke ein Glas Whisky-Cola und stehe bis zu den Knien im Meer – was wär das bitte für ein geiles Feeling? Julius hat ein Liquid Drum and Bass Set aufgelegt und meinte zu uns, dass er diesen Sound unbedingt an einem Wasserfall spielen müsse. Wir haben gesagt, wir verbinden die Musik mit der Natur – und so ist die ganze Idee entstanden.“

Ein paar ‘Random-Jungs’, die durch halb Europa reisen

Marco an den Turntables in Budapest ©Elsewhere
Marco an den Turntables in Budapest ©Elsewhere

Gesagt getan, die Jungs besorgten das entsprechende Equipment, planten die Tour  und rund ein Dreivierteljahr nach besagtem Abend ging es los. Die Idee hinter der Tour war es, an möglichst außergewöhnlichen Orten ihr DJ-Equipment auszupacken und in malerischer Einsamkeit den passenden Sound, inspiriert von der Umgebung, aufzulegen. Ziel des Ganzen war es ihren Followern bei YouTube, nach der Tour, eine Möglichkeit zu bieten, beispielweise auf Hauspartys, ihre Musik laufen zu lassen und dazu das passende Videomaterial zu liefern – wie eine Art Musiksfernsehsender. Gestartet haben sie ihre Tour in Dresden, dort legten sie in einer alten Kaserne eher dunklen Deephouse-Techno auf, danach ging es dann in Richtung Osteuropa, wo sie verschiedene Länder bereist haben, erzählt Marco, während er genüsslich an seiner selbstgedrehten Zigarette zieht. Wenn er die Länder, in denen die Jungs in der Zeit waren, auflistet, ist das Funkeln in seinen Augen kaum zu verkennen: „Was mir auf jeden Fall in Erinnerung bleibt ist Montenegro. Ein unglaublich facettenreiches Land. Du hast da innerhalb von 30 Kilometern Gletscher, Schluchten und dann wieder Strand. Du kommst relativ zügig von Spot zu Spot und alles wird abgedeckt.“ Die jeweiligen Sets haben die Jungs mit verschiedenen Kameras und Drohnen gefilmt und im Anschluss zusammengeschnitten, um sie später bei YouTube hochzuladen.
Inspiriert wurden sie bei ihrer Idee von der Plattform Cercle, auf der Live-Sets von verschiedenen DJ’s gestreamt werden: „Das ist ein ähnliches Portal. Allerdings ist der Unterschied zwischen Cercle und uns, dass da nur die Größen der Szene auflegen. Ich glaube der Charme bei Elsewhere ist einfach, dass wir halt irgendwelche Random-Jungs sind, die durch halb Europa gereist sind und das gemacht haben, worauf wir Bock haben.“

Hedonismus, Freizügigkeit und Ekstase

Musik ist oft der Treibstoff politischer Bewegungen. Man denke an die 68er-Bewegung, oder an David Hasselhoff, der mit seinem Song „Looking for Freedom“, den Berliner Mauerfall besang. Die Techno-Bewegung verkörpert Hedonismus, Freizügigkeit und Ekstase. Werte, die in autokratisch regierten Ländern oft problematisch gesehen werden und sogar zu großen Problemen führen können, wie am Beispiel der Technoszene in Tiflis sichtbar wurde. Auch Marco berichtet davon, dass der unterschiedliche Regierungsstil einiger osteuropäischer Länder durchaus bemerkbar war. Wie sehr die Politik jedoch wirklich Einfluss auf die dortige Szene nimmt, darüber kann er nur spekulieren: „Ich könnte mir vorstellen, dass das da nicht so toleriert wird – ich weiß es aber nicht genau. Zum Beispiel war es in Budapest so, dass wir die Technoszene durch eine Bekannte kennenlernen konnten. Die Szene dort ist auf jeden Fall deutlich kleiner als bei uns, von dem was ich beurteilen kann. Kann aber auch sein, dass es eine riesengroße Underground Szene gibt, von der wir nichts mitbekommen haben.“ Dadurch, dass sie ihre Sets meist ohne Publikum aufgenommen haben, hatten sie seiner Meinung nach zu wenig direkten Kontakt zur Raverszene, um sich ein wirkliches Urteil über die dort herrschenden Werte und Normen zu bilden.

“Es gab einen Tag, da war ich echt böse”

Viele Köche verderben bekanntlich den Brei. Und viele DJs verderben womöglich das Zusammenleben, wenn man über Wochen zusammen in einem 15 Quadratmeter großen Wohnwagen hängt und dabei nichts anderes als Musik, Feiern und den nächsten Spot im Kopf hat. Ob es da nicht auch mal zu Streitigkeiten kommt? Marco muss im Anschluss an die Frage, nach einem tiefen Schluck aus der Bierflasche, erst einmal Grinsen. Dafür, dass jeder seinen eigenen Charakter und Wertvorstellungen habe, hätten sie sich eigentlich erstaunlich gut vertragen, meint er. Nur in einer Situation sei es etwas brenzlig gewesen: „Es gab einen Tag, da war ich echt böse und hatte irgendwie das Gefühl, alle Jungs hätten sich gegen mich verschworen. Da hab ich dann meine Sachen gepackt und gesagt, dass ich jetzt zum nächsten Flughafen wandern würde. Hab ich dann am Ende natürlich nicht gemacht, aber ab da an durfte ich mir bei jedem kleinen Streit anhören, ob ich nicht wieder meine Sachen packen wolle.“

Wenn die Jungs mal gerade nicht aufgelegt haben, oder die nächste Wanderung zum Flughafen planten, haben sie sich die Städte vor Ort angeguckt, sind durch Wälder spaziert, oder sportlichen Aktivitäten, wie etwa Rafting in Österreich, nachgegangen. Das Ganze haben sie in verschiedenen Vlogs festgehalten:

“Wir hatten wirklich gar keine Lizenzen oder so. Wir sind halt einfach an irgendwelche Spots gefahren, haben unser Equipment aufgebaut und gesagt: Okay wir bleiben jetzt hier, bis wir weggeschickt werden”

Marco erzählt im Gespräch, er sei überwältigt gewesen von den Eindrücken vor Ort, obwohl er Anfangs bedenken bezüglich des Reiseziels hatte: “Mein erster Gedanke, als wir uns dazu entschieden hatten in den Osten zu reisen, war‚ ‘Bestimmt ein bisschen heruntergekommen, ein bisschen ärmlicher’ – das war aber überhaupt nicht der Fall. Ich war die ganze Zeit so unglaublich geflasht und hab mir nur gedacht ‘Krass, wo sind wir hier gerade?'”
Zehn verschiedene Länder, zehn verschiedene Gesetzbücher, mit denen man möglichst nicht in Konflikt kommen möchte. Gibt es da bestimmte Dinge, auf die man im Vorfeld achtet? Bestimmte Formulare, die man vorher ausfüllt, um mitten in der Natur aufzulegen und zu drehen? Im Anschluss an die Frage lacht Marco und deutet spaßeshalber mit dem Zeigefinger vor dem eigenen Mund ein Schweigen an: “Wir hatten echt ein bisschen Schiss, ob wir Stress kriegen könnten oder so, aber wir hatten wirklich gar keine Lizenzen oder so. Wir sind halt einfach an irgendwelche Spots gefahren, haben unser Equipment aufgebaut und gesagt, okay wir bleiben jetzt hier, bis wir weggeschickt werden. Aber wir haben zum Glück nie irgendwelche Probleme bekommen.”

“Wenn ich mir andere Szenen angucke – sei es jetzt die Hip-Hop oder Deutschrap-Szene – da koksen die Leute auch.“

Bevor sich das Gespräch dem Ende neigt, will ich noch gerne erfahren, wie man eigentlich auf die Idee kommt, DJ zu werden und elektronische Musik aufzulegen. Marco antwortet darauf mit einem Zwinkern und versucht sämtliche negative Klischees der Szene zu bedienen: „Drogen spielen natürlich eine große Rolle“, sagt er ironisch lächelnd. Natürlich nur ein Spaß, tatsächlich sei er eher der Typ, der vielleicht mal ein, zwei Bier auf einer Party trinkt, von illegalen Substanzen aber Abstand hält. Gleichzeitig verurteile er aber auch niemanden dafür: „Irgendwo gehört das auch zu der Szene dazu. Du wirst wahrscheinlich auf fast jeder Techno-Veranstaltung Leute sehen, die was genommen haben – das hat natürlich für Viele eine abschreckende Wirkung. Aber du hast mindestens genauso Viele, die komplett nüchtern da sind und die Musik einfach lieben. Diese Denkweise‚ man könne nur auf Techno feiern, wenn man Drogen nimmt, halte ich für falsch. Wenn ich mir andere Szenen angucke – sei es jetzt die Hip-Hop oder Deutschrap-Szene – da koksen die Leute auch.“

Wohin geht die nächste Tour?

Elsewhere verbindet Musik mit der Natur ©Elsewhere
Elsewhere verbindet Musik und Natur ©Elsewhere

Abschließend bleibt natürlich noch die Frage, wie es mit Elsewhere weitergehen soll. Konkrete Pläne gebe es allerdings noch nicht. In den nächsten Wochen gehe es erst einmal darum, die restlichen Sets und Vlogs zu schneiden, um sie den Leuten bei YouTube zu präsentieren. Und außerdem müsse sich nach der langen Zeit auf Tour erst mal jeder wieder an den Alltag gewöhnen – gar nicht so leicht, wenn man wochenlang im Wohnmobil unterwegs war und nur von Spot zu Spot gereist ist: „Wir sind jetzt erst mal wieder Zuhause angekommen und haben auch gesagt, wir wollen jetzt erst mal nichts davon hören. Wir waren zwei Monate unterwegs, jeder muss mal wieder anfangen zu arbeiten, mal wieder seinen Tagesablauf hinbekommen.
Der Plan ist es, bis Ende des Jahres alle Sets und Vlogs rauszuhauen. Ich denke, dann wird es auch erst richtig anfangen mit der Vermarktung.”
Dass es noch weitere Touren geben wird, steht für Marco außer Frage. Wohin genau steht jedoch noch aus. Er würde gerne nach Skandinavien – in der atemberaubenden Natur gebe es garantiert genügend aufregende Spots für das passende DJ-Set. Mal sehen, welcher Techno-Stil dort die Symbiose mit der Natur ergeben wird.

 

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