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Dokumentarfilme – Der lange Weg auf die Leinwand

Ins Kino gehen wir alle, doch wann sieht man schon mal einen abendfüllenden Dokumentarfilm auf der großen Leinwand oder im Fernsehen? Der Dokumentarfilmproduzent und Regisseur Stefan Tolz erzählt mir im Interview, wie viel Mühe, Geduld und Überzeugung es bedarf, um einen Dokumentarfilm zu realisieren und erklärt mir auch, warum das so ist.

von Hannah Zollhöfer

Am Anfang steht immer die Idee. Damit beginnt bei einem Dokumentarfilm der lange Prozess der Realisation: Nach der Recherche des Themas heißt es für den Produzenten ein Team zusammenzutrommeln und die richtigen Leute für die Idee zu gewinnen. Er muss die Kosten des Films möglichst genau kalkulieren, um dann die Finanzierung des Films Stück für Stück auf die Beine zu stellen. Fördergelder müssen beantragt werden, Verhandlungen mit den Redaktionen der Fernsehsender, mit potentiellen Filmverleihern und dem Weltvertrieb stehen an. Die Aufgaben des Produzenten sind zahlreich: Er begleitet den Entstehungsprozess von der Idee bis zur Kinoleinwand und darüber hinaus.

© 2015 Filmpunkt GmbH Stefan Tolz auf dem DVD-Cover seines Dreiteilers „Georgische Trilogie“
© 2015 Filmpunkt GmbH
Stefan Tolz auf dem DVD-Cover seines Dreiteilers “Georgische Trilogie”

Sobald alle Mittel stehen, darf offiziell der eigentliche Dreh beginnen. Stefan Tolz erklärt, dass man als Dokumentarfilmer oft in die Situation kommt, dass mit dem Protagonisten des geplanten Films beispielsweise vor offiziellem Drehbeginn etwas passiert. Das muss der Regisseur zunächst auf eigene Kosten in einem sogenannten Vordreh festhalten und hoffen, dass ihm das Material dann später für den Film abgekauft wird.

Der von Tolz koproduzierte Film “Cahier Africain” konnte beispielsweise wegen des Krieges in der Zentralafrikanischen Republik nicht wie geplant gedreht werden, sodass auf Material aus den Vordrehs zugegriffen werden musste. “Cahier Africain”, ein Film über Kriegsverbrechen an Frauen und deren Folgen in der Zentralafrikanischen Republik, gewann 2017 den Deutschen Filmpreis in der Kategorie “Bester Dokumentarfilm”, sowie den Schweizer Filmpreis in den Kategorien “Beste Montage” und “Bester Dokumentarfilm”.

Solche Umstände stellen Dokumentarfilmschaffende vor eine besondere Herausforderung. Es gibt schließlich kein Drehbuch, das eins zu eins umgesetzt werden kann, wie es bei einem Spielfilm beispielsweise der Fall wäre. Der Versuch ein Stück Realität einzufangen erfordert also mehr Flexibilität und Improvisationsfähigkeit von den Filmemachern.

 

Postproduktion – Vom Rohschnitt bis zur Premiere

Die offiziellen, meist 30 bis 40, Drehtage nehmen im Gegensatz zu der monatelangen, ja manchmal jahrelangen Vor- und Nachbereitung wenig Raum ein. Sind alle Bilder im Kasten, folgt die Postproduktion. Zunächst begibt man sich an den Schnitt.  “Als erstes wird dann ein Rohschnitt mit Produzent und Redakteur besprochen. Hier muss der Produzent auch eine Vermittlerrolle zwischen Regisseur und Abnehmern, wie zum Beispiel Redakteuren der Fernsehsender, einnehmen”, erklärt Tolz. Er muss also hier bereits abwägen, ob der Film so umgesetzt wird wie abgesprochen und muss gegebenenfalls eingreifen.

Der Film wird nun im Feinschnitt bis zum sogenannten Picture Lock überarbeitet, also dem Punkt, an dem an der Bildfolge nichts mehr verändert wird. Nun folgen parallel die Tongestaltung und die Bildnachbearbeitung. Für diese Bestandteile der Postproduktion werden unterschiedliche Firmen, die jeweils auf Bild oder Ton spezialisiert sind, beauftragt. Nun wird der fertige Film in den benötigten Formaten hergestellt. Die Arbeit des Produzenten ist mit der Fertigstellung des Films jedoch noch nicht getan: Der Film muss schließlich vermarktet werden. Dazu gehört nicht nur das Zeigen des Films vor Kino- und Fernsehpublikum, sondern auch das Bekanntmachen des Films mit professionellen Verwertern, wie den Jurys renommierter Filmfestivals. Durch das Einreichen des Dokumentarfilms bei solchen Filmfestivals, wie der Berlinale beispielsweise, wird auf den Film aufmerksam gemacht. Abnehmer können dann, sofern der Film gefällt oder Erfolg verspricht, Rechte erwerben, um diesen im Ausland ausstrahlen zu dürfen.

© déjàvu-film Beim Dreh von „Cahier Africain“ in der Zentralafrikanischen Republik
© déjàvu-film
Beim Dreh von „Cahier Africain“ in der Zentralafrikanischen Republik

 

Kein Film ohne Filmförderung

Ohne die verschiedenen Möglichkeiten der Filmförderung würden es die meisten Dokumentarfilme womöglich nicht auf die Leinwand schaffen, denn die von Bund und Land getragenen Subventionen stemmen gemeinsam mit den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern große Teile der Finanzierung. Aber auch die Förderer stellen viele Bedingungen; es ist nicht einfach möglich einen x-beliebigen Betrag zu beantragen, der zur Produktion des Films benötigt wird. Produzent Tolz erklärt:

„Die Regionalförderungen sind Wirtschaftsförderungen. Das heißt sie wollen natürlich, dass im jeweiligen Bundesland Arbeitnehmer beschäftigt werden und, dass Geld hier ausgegeben wird. Deshalb fördern sie auch immer nur, wenn du selber mindestens 150 Prozent, meistens aber 200 Prozent, also doppelt so viel ausgibst, wie du von der Förderung bekommst.“

Stellt ein Fernsehsender beispielsweise 60 000 Euro für einen Film zur Verfügung und der Produzent verpflichtet sich das gesamte Geld in Nordrhein-Westfalen auszugeben, kann er 30 000 Euro bei einer regionalen Filmförderung, wie der Film- und Medienstiftung NRW beantragen. Hierbei handelt es sich um bedingt rückzahlbare Darlehen. Erzielt der Film Gewinne, muss Geld an die Förderung zurückgezahlt werden. Allerdings wird man für ein erfolgreiches Projekt auch belohnt, denn das zurückgezahlte Geld erhält man wiederum als Förderung für ein neues Projekt.

©Eventpress/Deutscher Filmpreis Stefan Tolz nimmt gemeinsam mit dem Team den Deutschen Filmpreis 2017 für „Cahier Africain“ entgegen.
©Eventpress/Deutscher Filmpreis
Stefan Tolz nimmt gemeinsam mit dem Team den Deutschen Filmpreis 2017 für „Cahier Africain“ entgegen.

Diese Art der Förderung verlangt also von Beginn an eine genaue Kalkulation, wo man später in der Postproduktion welchen Arbeitsschritt macht, um daraus zu schlussfolgern welche regionalen Fördergelder infrage kommen. Dadurch ergeben sich auch Vorteile für eine Koproduktion. Eine deutsch-schweizerische Koproduktion, wie “Cahier Africain” beispielsweise, kann also sowohl von deutschen, als auch von schweizerischen Subventionen profitieren.

Die verschiedenen Förderungen des Bundes erfolgen wieder nach anderen Kriterien. Der Deutsche Filmförderfonds zum Beispiel beschränkt sich auf Filme, die für das Kino produziert werden. Ein kleiner Prozentsatz jeder bezahlten Kinokarte in Deutschland fließt in die Filmförderung des Bundes. Hier entscheidet keine Jury, ob und in welcher Höhe ein Film gefördert wird: Sobald ein anerkannter Filmverleih erklärt den Film ins Kino zu bringen, hat dieser Film Anspruch auf Fördergelder. 20 Prozent der Ausgaben in Deutschland übernimmt dann der Staat. So stemmt der Produzent mithilfe verschiedener Quellen die Finanzierung des Films. Stefan Tolz erzählt mir, dass Regisseur und Produzent oft sogar zunächst auf ihr Gehalt verzichten, um ein Projekt realisieren zu können. Das sind sogenannte Rückstellungen, die erst dann bezahlt werden, wenn der Film Gewinne abwirft. Denn ein endgültiger Vertrag mit einem Fernsehsender kommt erst dann zustande, wenn eine lückenlose Finanzierung aufgestellt wurde.

© déjàvu-film Filmplakat von "Cahier Africain"
© déjàvu-film
Filmplakat von “Cahier Africain”

Der Kampf um Sendeplätze

Dass es so schwierig ist einen Dokumentarfilm zu realisieren, liegt unter anderem auch daran, dass die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender nur sehr wenige Sendeplätze für abendfüllende Dokumentationen bieten. Und obendrein sind diese wenigen Sendeplätze meist sehr spät abends (22:45 Uhr) oder sogar mitten in der Nacht (00:30 Uhr). Trotz seiner zahlreichen Auszeichnungen und dem Prädikat besonders wertvoll der Film-und Medienbewertung (FBW) wurde “Cahier Africain” im letzten Jahr einmalig um 22:25 Uhr auf 3sat ausgestrahlt. Mit den späten Sendeplätzen geht einher, dass auch das Budget für derartige Produktionen vergleichsweise klein ist. “Je später ein Film läuft, desto weniger Zuschauer werden erreicht, desto weniger Geld steht für die Sendung zur Verfügung.” Ein Teufelskreis – denn wie kann der Dokumentarfilm populärer werden, wenn er nur zu Zeiten läuft, zu denen nahezu niemand fernsieht? Diesen Teufelskreis zu durchbrechen scheint nicht leicht, denn Redakteure stehen unter Druck gute Einschaltquoten zu erzielen und sind demnach oft nicht sehr risikofreudig. Kaum einer traut sich einen Autorendokumentarfilm um 20:15 Uhr zu zeigen. Dennoch wäre ein Umdenken hier erstrebenswert. Tolz plädiert für mehr Dokumentarfilme im Fernsehen:

„Was ich persönlich sehr wichtig fände ist, dass zumindest einmal im Monat in den großen Sendern um 20:15 Uhr ein 90-minütiger Dokumentarfilm läuft. Man kann ja populäre Filme zeigen, die eben auch Werbung für das Genre sind aber das sollte unbedingt regelmäßig eingeführt werden.“

Und damit ist er nicht allein. Es gibt bereits zahlreiche ähnliche Forderungen aus den Reihen der Dokumentarfilmschaffenden. Sie bemängeln die Diskrepanz zwischen der kulturellen Relevanz ihrer Arbeit und der unverhältnismäßig geringen Belohnung.

Und wie sieht es mit Video-on-Demand-Plattformen, wie Netflix oder Amazon Prime aus? Diese könnten neue Wege im Vertrieb von Dokumentarfilmen darstellen und so auch bei der Finanzierung helfen. Netflix beispielweise produziert bereits zahlreiche eigene Doku-Formate. Stefan Tolz hat jedoch Zweifel, ob Netflix und Amazon eine echte Alternative darstellen, da sie sich fast ausschließlich auf Serien konzentrieren. Zudem verfolgen Streaming-Anbieter den kommerziellen Erfolg und weniger einen Kulturauftrag.  Somit könnte es auch hier problematisch sein 90-minütige, freie Autorendokumentarfilme zu verkaufen. Bleibt zu hoffen, dass mit den Fernsehsendern und letztlich auch mit Streaming-Diensten eine Einigung erzielt wird, und wir uns künftig sowohl online als auch zur Primetime im Fernsehen auf mehr tolle, abendfüllende Dokumentarfilme freuen dürfen.

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