Wie soll man sich im sozialen Netzwerk verhalten? Als Privatperson ist das schon manchmal gar nicht so einfach. War das Ironie, was ein anderer da in einem Kommentar gepostet hat oder meint er das ernst und ich sollte mich jetzt persönlich angegriffen fühlen? Lösche ich einen bösen Kommentar unter meinem Bild, der meine Freundin angreift, die mit auf diesem Bild zu sehen ist? Und dann kommt noch die andere Seite der Nutzer hinzu: Stimmt das, was da jemand gepostet hat? Kann ich das einfach glauben?
Von Katharina Hensel
Wenn man sich Gedanken über sein Verhalten in sozialen Netzwerken macht, kommen Fragen über Fragen auf. Im öffentlichen Raum gibt es Regeln und Gesetze für das Verhalten der Mitmenschen untereinander – für das soziale Leben im Internet gelten die nicht so ganz. Und dann kommt da noch ein anderer Gedanke: Wenn ich es schon schwierig finde, bei manchen mich persönlich betreffenden Dingen zwischen falsch und richtig, wahr und unwahr zu unterscheiden, wie sollen es dann die Netzwerk-Anbieter tun, wenn zum Beispiel Kommentare oder Beiträge gemeldet werden?
Das Netzwerk-Durchsetzungsgesetz soll zumindest einen Teil dieser Fragen gesetzlich regeln. Im Gespräch mit Lars Klingbeil, Mitglied des Bundestages und Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion im Ausschuss Digitale Agenda, haben wir über den Gesetzentwurf gesprochen. „Facebook und andere soziale Plattformen stehen in der Verantwortung. Sie können sich da nicht rausnehmen und sagen, das hat alles nichts mit uns zu tun.“, steht für Lars Klingbeil fest.
Unverzüglich in 24 Stunden
Das bisherige Telemediengesetzt sagt schon jetzt aus, dass bei offensichtlichen Strafrechtsverletzungen unverzüglich gehandelt werden muss. Mit dem neuen Gesetz soll ‚unverzüglich‘ mit 24 Stunden definiert werden. Der schwierige Part liegt nach Lars Klingbeil in den nicht offensichtlichen Strafrechtsverletzungen: „Szenarien wüsstet ihr jetzt wahrscheinlich ganz viele, wo ihr auch sagt, das ist jetzt aber Ansichtssache. Und auch die Lüge gehört ja irgendwie mit zur Meinungsfreiheit. Und da ist jetzt genau einer der Knackpunkte, wie man das definiert.“
Facebook soll kein Bußgeld zahlen müssen, sobald sie bei einem Post falsch entschieden haben. Sondern sie sollen dafür sorgen, dass ein effizientes Beschwerdemanagement vorliegt. Sollten eine Menge an Beschwerden keine Beachtung finden und es ist zu erkennen, dass dafür keine Infrastruktur vorgesehen ist, dann wäre ein Bußgeld fällig. Angst vor einem Einschnitt in die Meinungsfreiheit besteht für Klingbeil mit dieser Systematik nicht. Die offensichtlichen Strafrechtsverletzungen innerhalb von 24 Stunden zu löschen, sei machbar und die nicht offensichtlichen innerhalb einer Woche über das Gericht: „In dem Moment, in dem die sozialen Netzwerke sagen, ‚Das können wir nicht entscheiden, das müssen Gerichte tun’, dafür braucht man eine Struktur – und das ist einer der Knackpunkte auch mit dem Justizminister, weil wir da noch Verbesserungen im Gesetz wollen.“
Was Lars Klingbeil definitiv nicht im Gesetz stehen haben möchte, ist die Ausweitung der Auskunftsansprüche. Demnach würde jeder, der etwas postet und dann beleidigt wird, den Anspruch darauf haben, die Stammdaten und damit die Identität der anderen Person zu erfahren. „Und das kann halt auch jeder Nazi, nachfragen, wer der kleine Antifa-Aktivist ist. Und das passt mir überhaupt nicht.“ Für ihn ist klar, wenn dieser Teil nicht aus dem Gesetzentwurf gestrichen wird, stimmt er dem Gesetz nicht zu.
Digitale Bildung darf aber auch nicht fehlen
Doch es ist nicht nur das Gesetz, das ausreichend für Veränderung sorgen wird. Es muss noch mehr getan werden. Straftaten und Strafrechtsverletzungen seien nach Klingbeil das eine, aber die Bekämpfung von Fake News könne nur mit Medienkompetenz, Bildung, Fact Finding und Sensibilität im Netz angegangen werden: „Da ist die Aufgabe viel größer, als jetzt irgendetwas Regulatorisches zu machen. Und das muss in der nächsten Legislatur definitiv noch angegangen werden.“
Um das umzusetzen, wäre für Lars Klingbeil der erste Punkt, die Bildungspolitik auf die Bundesebene zu ziehen: „Die Länder haben kein Geld, der Bund gerade schon, darf aber nichts machen. Deswegen ganz klar, das Kooperationsverbot muss weg.“ Zu den ersten Aufgaben würde dann gehören, die Schulen digital auszustatten: die Lehrerausbildung verändern, Ausstattung der Schülerinnen und Schüler mit Laptops und Tablets, Bildungsmaterialien digitalisieren und verändern und jedes Unterrichtsfach müsste einen digitalen Anteil beinhalten. „Das sind genau solche Fragen: Wie verstehe ich, dass das erste Ergebnis bei Google nicht die Wahrheit ist, sondern ich das vielleicht noch einmal prüfen muss. Aber auch sowas wie Games als neue Unterrichtsmaterialen oder interaktive Unterrichtsteile, wo zum Beispiel das Smartphone benutzt werden darf, um das Chemieexperiment zu filmen, und nachher wird etwas Schriftliches dazu gemacht, da ist ja ganz viel denkbar.“ Auch von den Schulbuchverlagen erwartet Lars Klingbeil weitaus mehr Engagement mit Blick auf digitale Lehr- und Lerninhalte und er möchte sich verstärkt den open educational resources zuwenden: „Also auch an Bildungsmaterialien arbeiten, wo alle mitarbeiten können, weil ich glaube, dann wird es noch einmal besser.“
Das Netzwerk-Durchsetzungsgesetz ist demnach nur ein Anfang für noch viele bevorstehende Anpassungen der Gesellschaft an die digitale Welt. Wenn die Knackpunkte des Gesetzentwurfes beseitigt werden können, ist ein erster Schritt für das Verhalten und den Umgang in sozialen Netzwerken getan. Doch der Bundesregierung und jedem einzelnen stehen noch weitere Aufgaben im Umgang mit dem Netz und sozialen Netzwerken bevor.