Die Scheinwerfer gehen an, draußen applaudieren die Zuschauer, man betritt die Bühne und die ersten Töne dringen aus den Boxen. Wie der Abend wird? Ungewiss. Wie das Publikum reagiert? Keine Ahnung. Denn die, die vor der Bühne darauf warten, dass das Konzert endlich beginnt, sind nicht wegen dir da. EMMA6, Montreal und die Betrayers of Babylon über das Leben als Vorband.
von Franziska Breininger
„Sieben Jahre harte Arbeit als Musiker, dass wir endlich einmal Blumen in den Backstagebereich bekommen“, lacht Lukas, als er das kleine Zimmer hinter der Bühne im Kölner Gebäude 9 betritt und sein Blick auf einen bunten Strauß fällt. Er und seine Bandkollegen Noah, Oliver und Marvin von Betrayers of Babylon sind an diesem Nachmittag die ersten dort.

Draußen auf dem ehemaligen Fabrikareal ist weit und breit niemand zu sehen. Der Konzertsaal ist noch dunkel, nur der Veranstalter und ein paar Techniker huschen durch den leeren Raum. Heute Abend wird dort die britische Ska-Band Bad Manners auftreten, doch vom Hauptact noch keine Spur. Die eigenen Instrumente sowie die restlichen Betrayers-Mitglieder stecken irgendwo im Kölner Berufsverkehr fest.
Stimmungsmacher für ein fremdes Publikum
Das alles kann die Jungs nicht mehr aus der Ruhe bringen, erst recht nicht draußen an diesem warmen Sommertag. Hier, mit der Sonne im Gesicht, können sie selbst ihre holprigsten Support-Auftritte mit Humor nehmen. Denn wer als Ska- und Reggae-Truppe schon vor einem Metall-Publikum stand, den schockt so leicht nichts mehr. „Wir kamen an und dachten uns: Was sollen wir hier?“, erzählt Noah unter Gelächter der anderen. Was man in Mitten von Metall-Fans als Vorband besser nicht tun sollte? Marvin grinst: „Keine Metall-Witze reißen.“ Ein guter Tipp, denn gefeiert hat das Publikum damals trotz anderem Musikgeschmack. Vielleicht lag es aber auch daran, dass manche Fans toleranter sind als andere. „Es wäre schon was anderes, wenn das der Mega-Pop nach uns gewesen wäre“, so Noah. „Oder die Jazz-Polizei“, wirft Lukas schmunzelnd ein.

Doch selbst bei ähnlicher Musikrichtung hat die Vorband keineswegs leichtes Spiel – schon gar nicht bei einem alteingesessenen Publikum eines etablierten Künstlers. Als „Amateur-Reggae-Leute“ gaben die Betrayers of Babylon am Anfang ihrer Bandlaufbahn den Stimmungsmacher für die Fans des Reggae-Sängers Jahcoustix. „Da war die Stimmung komisch. Die Leute waren glaube ich nicht so offen oder wir waren zu nervös“, erzählt Marvin. Warum stellt man sich dann trotzdem als Vorband auf die Bühne? Der Schlagzeuger muss da nicht lange überlegen:
„Man spielt sein Konzert und das macht schon Spaß und danach ist der Auftritt von der Band, die man liebt und man kann noch dazu tanzen.“
Noah ergänzt: „Es kann auch sein, dass die Hauptband dich so cool findet, dass sie sagen: ‚Wir gehen nächstes Jahr auf Tour, wollt ihr nicht als fester Support Act mit?‘“ Und das ist keinesfalls utopisch.
Vom kleinen Klub auf die großen Bühnen
An einem Abend noch vor 50 Leuten im „Blue Shell“ in Köln, ein paar Wochen später vor ein paar Tausend Menschen im E-Werk – so kann es kommen, wenn man wie die Band EMMA6 plötzlich als Support von Wir sind Helden auf der Bühne steht. „Wir waren wirklich unfassbar aufgeregt, das war schon so ein richtiger Flash“, erinnert sich Bassist Dominik. Wohin das führen kann, wissen die drei Musiker nur zu gut. Ihre Single „Paradiso“ platzierte sich in den deutschen Charts, eigene Touren folgten und im letzten Jahr veröffentlichte die Gruppe ihr drittes Album.

Auch die Punk-Rock-Band Montreal war als Support bereits mit Madsen, Slime und Royal Republic unterwegs. Mit der Bloodhound Gang tourten sie unter anderem durch Russland, Estland und Irland. „Deren Publikum hatte immer Bock und wir haben dort unglaubliche Abende gehabt, obwohl wir nur die Vorband waren und uns bis dahin keiner kannte“, schwärmt Bassist Sebastian alias Hirsch.
Aus dieser Zeit haben beide Bands viel mitgenommen – nicht nur den ein oder anderen treuen Fan. Sie haben den Sprung geschafft, sind nicht mehr „nur“ der Support und kennen beide Seiten der Medaille. Jede davon hat ihren Reiz. „Im Gegensatz zu einer eigenen Tour geht man als Vorband natürlich nicht mit der Erwartungshaltung auf die Bühne ‘Licht an und alle flippen aus.’ Das Publikum kennt dich ja noch nicht und ist nicht für dich da“, erklärt Dominik, „es geht mehr darum, die Leute für sich zu gewinnen.“ Und das funktioniert am besten, wenn man sich selbst treu bleibt und alles so macht wie immer – zumindest fast. „Wir reden glaube ich nicht ganz so viel wie bei unseren eigenen Konzerten und sehen zu, dass wir die Leute nicht nerven mit zu viel Tamtam“, meint der Montreal-Bassist. „Vielleicht bemüht man sich noch zwei oder drei Mal den eigenen Namen zu erwähnen, damit der irgendwie hängen bleibt“, lacht Dominik.

Je nach Laune des Publikums hat man es als Vorband sowieso nicht leicht. Da kann man es überhaupt nicht gebrauchen, wenn die Hauptband es einem auch noch schwer macht. Einschränkungen bei der Beleuchtung, Lautstärke oder dem Soundcheck. Zu so einem Verhalten hat Hirsch eine klare Meinung:
„Wenn man sowas als Hauptband nötig hat, um nicht Gefahr zu laufen, vom Support weggeblasen zu werden, sollte man sich gründlich Gedanken über das eigene Treiben machen.“
Konkurrenzdenken gibt es bei den Touren von EMMA6 und Montreal nicht, ihre Vorbands suchen sie selbst aus. „Uns ist in erster Linie immer wichtig, dass wir mit der Band gut klar kommen. Wenn das dann musikalisch noch halbwegs hinhaut – umso besser“, meint Hirsch.
Immerhin wissen beide Bands, wie es ist ein fremdes Publikum zu unterhalten. Traumatische Szenarien, in denen man als Support trotz Buhrufen sein Programm durchziehen oder einen becherwerfenden Mob von sich überzeugen muss, gab es allerdings nie. „Wir haben bisher immer super nette Fans der anderen Bands angetroffen, die offen waren und Bock auf Musik hatten. Da war es schon schwerer den einen oder anderen Stromausfall mal kurzfristig zu überbrücken“, lacht Dominik.
Wenn das Auto zum Tourbus wird…

Improvisation gehört zum Vorbandleben dazu. Das müssen auch die Betrayers of Babylon am eigenen Leib erfahren. Denn wenn es für den großen Nightliner noch nicht reicht, dann muss eben der gute alte Kombi herhalten. Als das silberne Auto um die Ecke rollt, hängt der Kofferraum bedenklich tief über dem Boden und an den hinteren Scheiben quetschen sich Taschen und Instrumentenkoffer. Simon streckt lachend den Kopf aus dem Fenster: „Na, hängen wir gut in der Achse?“ Lukas grinst: „Das ist der Band-Struggle.“ Dann geht es schnell. Alle packen mit an und im Handumdrehen sind Gitarre, Trompete und Co. ausgeladen. Mittlerweile ist auch die Hauptband eingetroffen. Zwischen Tür und Angel klären die Musiker ab, welches Equipment mit auf die Bühne darf und der Aufbau kann beginnen.
Einige Dinge kann man dann aber doch nicht vorhersehen. Bevor der Soundcheck endlich losgeht, verabschiedet sich Lukas Schuhwerk. Verdutzt hält er die Sohle in der einen, den Rest des Schuhs in der anderen Hand. Doch der Sänger zuckt nur mit den Schultern und bringt die schwarzen Treter kurzerhand zum Fahrradladen nebenan. Auf dem Betonboden, auf dem nachher das Publikum zu Ska-Musik tanzen wird, steht jetzt ein frisch geklebtes Paar schwarzer Schuhe und trocknet vor sich hin.
Währenddessen sammeln sich vorm Gebäude 9 die ersten Zuschauer und genießen mit einem Bier in der Hand die letzten Sonnenstrahlen. Drinnen ist es derweil stressiger. Der Soundcheck fällt heute kurz aus, Zeit für eine letzte Stärkung am Buffet bleibt nicht mehr. Schuhe einsammeln, rein ins Bühnenoutfit und dann geht es auch schon los. Vorm Auftritt erzählt Lukas:
„Für mich ist es immer ein großes Hoffen, dass es gut ankommt.“

Ihm gehe es ähnlich, bestätigt Marvin, „aber trotzdem musst du dein Ding machen.“ Das ist zu Beginn nicht einfach. Die ersten Zuschauer wagen sich in den leeren Saal, bleiben erst einmal mit einem gewissen Sicherheitsabstand stehen. „Kommt mal alle ein paar Schritte nach vorne, hier ist noch so viel Platz“, ermutigt Lukas das Publikum. Song für Song motiviert er die Leute, die sich langsam nach vorne trauen. Die Hartnäckigkeit zahlt sich aus. Nach den ersten paar Liedern haben sich dann auch die letzten langsam warm getanzt, andere hüpfen euphorisch durch den Saal – vielleicht auch wegen ein oder zwei Bier zu viel. Am Ende folgt das obligatorische Ankündigen der Hauptband und dann ist es geschafft: „Wir waren die Betrayers of Babylon aus Neuss. Bis bald hoffentlich, Dankeschön!“
Draußen vorm Backstagebereich wird nach dem Abbau endlich das verpasste Abendessen nachgeholt, seit mehr als vier Stunden ist die Band bereits unterwegs. Dumpf hört man von drinnen die ersten Töne der Bad Manners. Mit dem Auftritt sind die Betrayers zufrieden. „Beim Support sind ja die meisten noch nicht so in der Laune abzugehen, aber war gut heute. Hat schon sehr Bock gemacht.“ Und das Allerwichtigste: „Die Schuhe haben gehalten!“, lacht Lukas und streckt die Hände in die Luft.
Genug vom Vorbandleben?
„Die hätte man sich auch sparen können“ – Sätze wie diesen kennt wohl jeder Konzertbesucher. Oft wird die Vorband nicht wertgeschätzt, zu schnell vergessen und zu wenig beachtet. Doch an manchen Abenden macht eben diese den Unterschied. Man verlässt müde und glücklich den Konzertsaal, schwärmt von den vergangenen zwei Stunden, in denen man gefeiert, gesungen und getanzt hat. Und das ist vielleicht auch ein Stück weit der Vorband zu verdanken. Wie wichtig die eigenen Supports sind, weiß auch Dominik: „Wenn die Vorband gut ist und die Leute schon aufgewärmt sind, dann hat ja auch die Hauptband etwas davon.“
Auf die Frage, bei wem er mit EMMA6 gerne mal als Support dabei wäre, fällt ihm direkt eine Antwort ein. „Kettcar. Ich mag die Musik und die Texte seit vielen Jahren, das ist einfach eine gute Band.“ Auch wenn es schön ist, die eigenen Fans jubelnd vor sich zu sehen, das Vorbandleben haben sie alle anscheinend doch noch nicht satt. „Ach, alle Supportbands schwärmen immer davon, wie gut man bei den Hosen behandelt wird – wir können uns schon vorstellen, das früher oder später mal selbst zu überprüfen“, meint Hirsch. Auch die Betrayers of Babylon sind sich sofort einig, mit wem sie sich gerne eine Bühne teilen würden: „Seeed!“ Der Reiz, mit den Idolen auf Tour zu sein und die Herausforderung, ein fremdes Publikum für sich zu gewinnen, machen die Auftritte als Vorband so spannend. Und so mancher Zuschauer entdeckt im Vorprogramm vielleicht auch die nächste Lieblingsband.