„Mit dem Mietwagen durch Albanien? Die Straßen da sind doch so schlecht, geht das überhaupt und ist das sicher?“ In der Tat sieht nicht alles rosig aus. Das schlechte Image hat das Balkanland dennoch nicht verdient, anstatt dessen mehr Aufmerksamkeit und Besucher.
Europa ist vielfältig, keine Frage. Man muss nicht zwingend einen Langstreckenflug in Kauf nehmen, um den eigenen Horizont zu erweitern. Familie, Freunde und Kollegen reagierten zunächst irritiert als sie von dem Reiseplan hörten. Obwohl nur wenige Flugstunden von Deutschland entfernt, befindet sich Albanien als Reiseziel außerhalb des Radars. Doch unmittelbare Begegnungen sind vor allem abseits des Massentourismus möglich. Grund genug, sich nicht von dem schlechten Image abschrecken zu lassen.
Die Fakten
Albanien ist stark geprägt von seiner politischen Vergangenheit und befindet sich weiterhin im Prozess der Transformation von einer sozialistischen Planwirtschaft in eine moderne Marktwirtschaft. Trotz bedeutender Fortschritte gehört Albanien zu den ärmsten Ländern Europas, die offizielle Arbeitslosenquote liegt laut dem Auswärtigen Amt bei 17,9 Prozent. Gemessen an dem Anteil der Erwerbstätigen ist die Landwirtschaft der wichtigste Sektor – da es an Kapital, sowie Zugang zu Märkten und modernen Produktionsmethoden mangelt, ist die Produktivität jedoch eher gering. Viele Jugendliche sehen in Albanien keine Zukunft und möchten das Land verlassen.
Doch der Tourismussektor wächst, gilt als Wachstumsmotor des Landes. Auf den ersten Blick erscheint das Potenzial immens. Die Sicherheitslage ist stabil, die Kriminalitätsrate niedrig. Kosten für Anreise, Unterkunft und Verpflegung entsprechen dem verhältnismäßig niedrigen Preisniveau der umliegenden Balkan-Länder.
Die Landschaft
Albanien hat viel zu bieten. Vor allem die Landschaft bleibt in Erinnerung. Naturliebhaber kommen voll auf ihre Kosten und können vom Tourismus nahezu unberührte Gegenden erkunden. Der Ohridsee ist einer der größten Seen auf der Balkanhalbinsel und gehört mit zwei bis fünf Millionen Jahren zu den ältesten der Erde. Die Küste Albaniens ist atemberaubend. Die Berge fallen hier steil ins azurblaue Adriatische Meer, am Horizont sind griechische Inseln zu sehen.
Eine fragwürdige aber prägnante Sehenswürdigkeit besteht in den zahlreichen kuppelförmigen Bunkern. Enver Hoxha, der damalige kommunistische Führer des Landes, ließ diese im Zeitraum von 1972 bis 1984 für den Fall einer Invasion des Landes durch ausländische Truppen bauen. Die Bunker sollten sogar dem Beschuss durch Panzer standhalten. Es heißt, der Chefingenieur des Bunkers wurde von Hoxha zum Selbstversuch genötigt. Da er die Explosion überlebte, ging das Modell landesweit in Massenproduktion. Viele der Bunker wurde umfunktioniert und stehen bis heute.
Der Tourismus als Chance
Die erste Welle des Tourismus liegt bereits einige Zeit zurück. Im Jahr 2011 benannte der Reisebuchverlag Lonely Planet Albanien als Top-Reiseziel. Doch obwohl etablierte Reiseländer wie Ägypten oder die Türkei aktuell gemieden werden und europäische Länder wie Griechenland, Portugal und Spanien davon profitieren, begegnet man nur wenigen Touristen.
Das könnte sich bald ändern. Im April 2016 wurde der Arte-Dokumentarfilm Zauberhaftes Albanien erstmals im deutschen Fernsehen ausgestrahlt. Seitdem steigt die Anzahl der Besucher aus Deutschland und Frankreich, berichtet die Albanerin Elvira Skenduli. Seitdem sie wegen „falscher“ Parteizugehörigkeit ihre Stelle als Lehrerin verloren hat, verwaltet sie ein faszinierendes Familienerbstück. Gjirokastra, die Geburtsstadt Enver Hoxha, ist bekannt für seine typisch osmanische Architektur. Eines des spektakulärsten Häuser der Stadt ist bereits seit 300 Jahren im Besitz des Familie Skenduli – jedoch nicht ohne Unterbrechung. Nach der Machtübernahme Hoxhas im Jahre 1944 ging das Haus in Staatseigentum über. Erst in den 90er Jahren wurde das Haus zurückgegeben. Bis heute wurde die Familie nicht für die Enteignung entschädigt. Für umgerechnet 1,50€ kann das Haus besichtigt werden. Doch die Kosten für die Instandhaltung sind immens, die Familie ist auf Besucher angewiesen.
Der Tourismus als Einbahnstraße
In einigen der Küstenorte sind die ersten Spuren von zu schnellem Wachstum zu spüren. Viele Gebäude wurden im Bau befindlich zurückgelassen, manche zerfallen bereits wieder. Ganze Stadtteile sind komplett auf die Besucher im Sommer ausgerichtet. Wenn die Strandsaison vorbei ist, erinnern sie an Geisterstädte.
Betreiber von Hostels und Guest Houses können in der Regel bessere Informationen geben als die öffentlichen Informationszentren. Oftmals entsteht der Eindruck, man wisse noch nicht wie mit der zunehmenden Anzahl von Besuchern umzugehen ist. Im Gespräch mit Einheimischen und Reisenden ist immer wieder von fehlgeleiteten Investitionen, Korruption und nicht zu Ende gedachten Tourismus-Konzepten die Rede. Der geborene Niederländer Walter betreibt ein Hostel in Gjirokastra und organisiert Ausflüge. Er kennt die Highlights der Region bestens, weiß aber auch um die Probleme. Vor wenigen Jahren wurde für mehrere Millionen Euro eine Straße gebaut, um eine traumhafte Region in der Nähe der Stadt für Wanderer zu erschließen. Aktuell endet sie auf einem verlassenen Hochplateau, quasi im Nichts. Der einst geplante Camping-Platz wurde nicht angelegt, kaum jemand kennt oder nutzt die Straße. Tourismus als Einbahnstraße – im buchstäblichen Sinne.
Das Fazit
Die mediale Aufmerksamkeit wächst und damit steigt das Interesse. Gelingt es geeignete Konzepte zu entwickeln und umzusetzen, die dazu führen, dass ein großer Teil der Bevölkerung vom Tourismus profitieren kann, bieten sich massenhaft Optionen für das Land. Damit sich der Wandel konfliktfrei vollziehen kann, müssen auch die Bedürfnisse derjenigen die nicht im Tourismus beschäftigt sind berücksichtigt werden. Die Erfahrung radikaler politischer Wechsel und das Wissen um die Korruption scheint dafür gesorgt zu haben, dass viele Albanerinnen und Albaner eher verhalten in die Zukunft blicken. Dem sagenhaft gastfreundlichen und offenen Volk ist zu wünschen, dass diese Herausforderungen bewältigt werden. Wer bereit ist, über Vorurteile und bestehende Mängel hinwegzusehen, kann ein einzigartiges Land entdecken – besser früher als später, es ist noch nicht abzusehen wie der Tourismus das Land verändern wird.
Fotostrecke:
Bild 6: Der Kampf gegen den Kommunismus forderte zahlreiche Opfer. Eines von vielen Denkmälern.
Hier müsste es wohl heißen: Der Kampf gegen den Faschismus. Es ist ein Denkmal zum Befreiungskampf gegen den Deutschen Faschismus!
Ist angepasst, vielen Dank für den Hinweis.
Absolut richtig, vielen Dank für den Hinweis.