Die Initiative „Verfolgen statt nur Löschen“ geht gegen strafbare Hasspostings im Netz vor und bringt sie zur Anzeige. Damit soll gezeigt werden, dass das Netz kein rechtsfreier Raum ist und Hetze oder rassistische Meinungsmache durchaus strafrechtliche Konsequenzen hat. Ist dies ein Weg, Hate Speech konsequent entgegenzutreten?
von Jana Potthoff
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Dass der erste und grundlegende Artikel unseres Grundgesetzes auch für das Internet gilt, sollte eigentlich selbstverständlich sein. Nichtsdestotrotz erleben wir in den Kommentarspalten der Sozialen Netzwerke und Online-Foren immer häufiger Aussagen, die unter die Gürtellinie gehen. Herabwürdigende Sprache, menschenverachtende Äußerungen oder rassistische Kommentare sind keine Einzelfälle mehr, sondern bestimmen zunehmend das Klima im Netz. Laut einer Forsa-Studie im Auftrag der Landesanstalt für Medien NRW haben 78% der Befragten schon einmal Hassrede im Internet gesehen, 36% davon sogar häufig oder sehr häufig.
Hate Speech als Bedrohung des freien Meinungsaustauschs
Was genau bedeutet eigentlich Hate Speech? Die Amadeu Antonio Stiftung beschreibt das Phänomen so: „Hate Speech ist gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, die ihren Ausdruck in gewalttätiger Sprache findet. Sie verletzt die Würde und die Rechte von Menschen und kann ganze Gruppen einschüchtern.“

Vor allem die vermeintliche Anonymität im Internet trägt dazu bei, dass die Nutzer die Scheu verlieren, bestimmte sprachliche Grenzen zu überschreiten. Wenn sie für die getroffenen Aussagen keine Konsequenzen erfahren, erscheint der aggressive Umgangston mit der Zeit als legitim und überträgt sich auch auf die gesamte gesellschaftliche Stimmung: Öffentliche Debatten verschärfen sich, Hass und Diskriminierung gegenüber bestimmten Personengruppen werden salonfähig. Spätestens, wenn Medien wie die Deutsche Welle die Kommentarfunktion auf ihrer Webseite abstellen, da das Ausmaß an Hassrede so groß ist, dass kein konstruktiver Austausch mehr stattfindet, wird klar: Hate Speech stellt eine Bedrohung für die Demokratie und die freie Meinungsäußerung dar.
Mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz des ehemaligen Justizministers Heiko Maas ist seit Anfang 2018 gesetzlich geregelt, dass Hasskommentare zeitnah nach Eingang einer Beschwerde von den Netzwerkbetreibern entfernt werden müssen. Der Gesetzgeber legt die Verantwortung hiermit in die Hände der Plattformen wie Facebook oder Twitter. Aber ist damit genug getan, um Hate Speech im Netz zu unterbinden?

Verfolgen statt nur Löschen!
Die NRW-Initiative „Verfolgen statt nur Löschen“ geht noch einen Schritt weiter. Das Projekt ist ein Zusammenschluss aus der Landesanstalt für Medien NRW, der Strafverfolgungsbehörden in NRW und verschiedenen Medienhäusern wie der Mediengruppe RTL, dem WDR und der Deutschen Welle. Der Ansatz: Hasskommentare zu löschen reicht nicht aus, da der Verfasser so keine Rückmeldung bezüglich seines fehlerhaften Verhaltens erhält. Stattdessen werden auffällige Kommentare juristisch geprüft und im Falle einer Rechtsverletzung strafrechtlich verfolgt. Dazu wurden den Medienhäusern Ansprechpartner in den Strafverfolgungsbehörden zugeteilt und der Prozess der Anzeigenerstellung durch eine Musteranzeige vereinfacht.
Was erreicht die Initiative damit?
Nach Beginn der operativen Phase im Februar 2018 wurden im vergangenen Jahr über 280 Anzeigen erstattet und 110 Strafverfahren eingeleitet. Der Mehrheit wird dabei der Tatbestand der Volksverhetzung vorgeworfen. In einer Pressemitteilung aus Januar 2019 zieht Dr. Tobias Schmidt, Direktor der Landesmedienanstalt NRW, positive Bilanz: „Hass im Netz ist Gewalt gegen Demokratie. Doch unsere Demokratie bietet auch Mittel, diesem Hass effektiv zu begegnen. Die Initiative ‚Verfolgen statt nur Löschen‘ nutzt diese Mittel konsequent und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Rechtsdurchsetzung im Internet.“
Eine Offensive gegen Hate Speech?
Ist die Initiative damit ein erfolgreicher Weg, Hassrede im Netz offensiv entgegenzutreten? Angesichts der großen Präsenz von Hate Speech im Internet erscheint die Anzahl der erfolgten Anzeigen und Strafverfahren tatsächlich eher gering. Bleiben die verfolgten Äußerungen Einzelfälle, die in der Masse an Hasskommentaren untergehen? Einzelfälle sind es, ja. Aber dennoch ist es gut, dass überhaupt etwas passiert und den Hasspostern klargemacht wird, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist, in dem man sich alles leisten kann. Wenn über die zur Verurteilung gebrachten Fälle öffentlich berichtet wird, mag die Botschaft eine gewisse Reichweite erlangen und tatsächlich ein Zeichen gesetzt werden.

Eine gesunde Debattenkultur braucht eine starke Zivilgesellschaft
Dennoch muss klar sein: Eine konsequente Rechtsdurchsetzung allein reicht nicht aus, um den Ton im Netz zu beruhigen und aufgeladene Debatten zu verhindern. Was es vor allem braucht, sind Menschen, die dagegenhalten, sachlich argumentieren und Minderheiten in den Schutz nehmen. Man spricht hier auch von Counter Speech oder Digitaler Courage. Ein Beispiel ist die Bewegung #ichbinhier. Unter Verwendung des Hashtags mischen sich die Gruppenmitglieder in aggressive Diskussionen ein und reagieren bewusst sachlich und respektvoll auf Hasspostings. Genauso kann jeder einzelne von uns zu einem besseren Diskussionsklima im Netz beitragen. Natürlich braucht es dafür den Mut, sich gegen die Hater zu behaupten. Daher ist es gut, dass „Verfolgen statt nur Löschen“ zeigt, dass auch im Internet gewisse Regeln für den Umgang miteinander gelten.