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Reportage: Let’s plogg – Für weniger Müll und mehr Gesundheit

Beim Joggen den Müll anderer Menschen aufsammeln, entsorgen und damit die Straßen und Wiesen sauber machen – klingt cool? Ist es auch! Die nachhaltige Trendsportart heißt Plogging und kommt aus Schweden.

Von Lara Hackmann

Ich atme tief ein und aus. Man sieht meinen Atem, denn es ist Winter und kalt draußen. Erst ein paar Tage sind im neuen Jahr vergangen und nun stehe ich mit meiner Freundin Patricia am Rhein, um etwas Gutes zu tun. Anstatt wie üblich einfach nur joggen zu gehen, sei es draußen oder im Fitnessstudio, gehen wir dieses Mal ploggen. Auch wenn dafür nicht die beste Jahreszeit ist, da es früh dunkel wird, wollen wir es heute dennoch zum ersten Mal ausprobieren. „Ploggen ist eine skandinavische Sportart. Man bückt sich, hebt Müll auf und joggt dabei. Man kann aber auch walken, je nachdem, wonach man sich fühlt“, sagt Tamae Meixner, Gründerin der Plogging-Gemeinde in Bonn. Das Wort Ploggen bzw. Plogging setzt sich aus dem schwedischen „plocka“, was aufheben bedeutet, und Jogging zusammen.

„Es ist ein Kunstwort. Es steht für raus aus dem Büro, raus aus dem Haus. Sich bewegen und etwas Sinnvolles für die eigene Stadt tun.“

Ploggen ist demnach eine Natursportart, die die eigene Gesundheit und die Verbesserung der Umwelt miteinander vereint.

Bonner Plogging-Gemeinde beim Müll sammeln © Tamae Meixner
Bonner Plogging-Gemeinde beim Müll sammeln © Tamae Meixner

 

Verschiedenste Antiquitäten

An einem Sonntagnachmittag haben wir uns auf den Weg gemacht, es ist diesig und die Dämmerung hat bereits begonnen. Doch wir sind warm angezogen: Sportschuhe, warme Laufbekleidung, Schal, Stirnband und Handschuhe. Wir gehen erst mal gemütlich los: Nach nur ein paar Metern halten wir das erste Mal an und beginnen sowohl die nächstgelegene Grünfläche als auch den Asphalt von Müll zu befreien. Zunächst halte ich den noch leeren und leichten Müllsack in der Hand – ein weiterer befindet sich in meinem Rucksack. Der Optimismus ist groß, dass wir beide füllen werden. Wir bücken uns und bücken uns, und finden bereits die ersten Antiquitäten: „Oh, sieh mal“, sage ich zu Patricia. „Was ist das?“ Nach kurzem Überlegen bei genauerer Betrachtung erkenne ich es: Es ist eine Handtasche von einer Polly Pocket Figur. In meiner Kindheit habe ich viele Stunden mit dieser Art von Spielzeug verbracht, und meine damaligen Figuren hatten ebenfalls rote Taschen. Doch dass es die noch zu kaufen gibt war mir nicht bewusst. „Aber die ist auch schon sehr verblasst“, fügt Patricia hinzu. Wir lachen.

© Lara Hackmann
© Lara Hackmann

Einmal umgedreht finden wir erneut etwas, was vermutlich seit Halloween oder Karneval hier liegt. Ob es aus dem letzten Jahr stammt oder bereits noch länger hier verweilt, ist nicht zu erkennen. Es ist ein Kunststoff-Vampirgebiss für Erwachsene. Direkt daneben liegen 50 Cent – total verschmutzt und fest in die Erde getreten. „Die nehme ich mit… fürs Waschen. Fehlen nur noch zwei weitere und ich kann eine Maschine Wäsche anstellen“, erzähle ich schmunzelnd.

Wir bewegen uns in einem Radius von circa 20 Metern. Zum Joggen kommen wir gar nicht, da der Fokus bereits auf dem Müll liegt. Unsere Augen sind auf der Suche. Sobald wir etwas sehen, muss es aufgehoben werden – vorbeilaufen oder joggen können wir nicht.  Aber trotzdem ist es sportlich und anstrengend. “Ich spüre jetzt schon meinen Rücken und die Beine… der Po!“, so Patricia. „Ja! Wir machen heute so viele Kniebeuge. Die 100 Stück haben wir bald geknackt“, antworte ich – und das nach nur wenigen Minuten.

Das war der Moment, an dem ich meiner Laufpartnerin im Detail von einem Interview erzählte, das ich einige Wochen zuvor geführt habe: Ich habe mich mit Tamae Meixner getroffen, die das Ploggen nicht nur nach Bonn gebracht hat, sondern auch etablierte. Sie ist 61 Jahre alt, verheiratet, hat zwei Töchter und lebt in Bonn. Sie besitzt eine Agentur für nachhaltige Veranstaltungen und wurde vor sechs Jahren in Berlin für den Green Globe ausgezeichnet. Dies eröffnete Meixner die Chance, als einzige Person in der Region um Bonn für die United Nations zu arbeiten.


Beginn der Plogging-Welle

In den skandinavischen Ländern ist das Ploggen seit Jahren ein Trend. „Erik Ahlström hat in Stockholm begonnen und wurde von vielen belächelt, mittlerweile gibt es das überall. Sogar in Singapur, obwohl die Stadt sauber ist. Man sieht Plogger auf der ganzen Welt, das ist wahnsinnig toll!“, erklärt mir Meixner.

In Bonn gibt es seit April 2017 eine Plogging-Gemeinde, denn das war der Zeitpunkt, in dem Meixner Menschen mobilisiert und einfach angefangen hat. Sie mache das Ganze für Bunter Kreis Rheinland, das ist ein gemeinnütziger Verein, der sich um Familien mit kranken Kindern kümmert. Für jeden gesammelten Müllbeutel erhalte Sie einen Euro von verschiedensten Firmen.

Bonner Plogging-Gemeinde rund um Tamae Meixner mit ihrem gesammelten Müll © Tamae Meixner
Bonner Plogging-Gemeinde rund um Tamae Meixner mit ihrem gesammelten Müll © Tamae Meixner

Dementsprechend kommen bei der Plogging-Gemeinde in Bonn also gleich drei Vorteile zusammen: Es wird Müll gesammelt und dabei ein entscheidender Beitrag für Umwelt und Klima geleistet. Durch die aktive Bewegung in der Natur wird die Gesundheit und speziell das Herz-Kreislauf-System durch das ständige Bücken, Stoppen, Weiterlaufen gefördert. Und nebenbei sammelt man in der Gemeinschaft ein Benefiz.

„Es ist toll, umsonst und draußen.“

 

 


Vorsicht ist geboten!

Aber auch Patricia und ich merken, dass man vorsichtig sein muss und sich vorbereiten sollte. „Man kann nicht einfach in einen Busch reingreifen nur, weil man etwas sieht“, so Patricia. Denn selbst mit den speziellen Handschuhen von Bonn Orange, die die Plogging-Gemeinde rund um Tamae Meixner gestellt bekommt, sei man vor einer möglichen Verletzung nicht geschützt. „Bei Scherben passiert nichts, aber für die Spritzen von Drogenabhängigen läuft immer einer mit, der eine Flasche dabeihat und die Spritzen aufnimmt. Denn selbst die gehen bei den Handschuhen durch.“ Deshalb sollte man nicht einfach mit Elan losziehen, möglicherweise nur mit Stoffhandschuhen ausgerüstet, sondern sich zumindest im Baumarkt feste Handschuhe kaufen oder einfach bei der jeweiligen Stadt anfragen. „Die sind großzügig, man muss nur anrufen. Wir bekommen sowohl die Müllbeutel als auch die Handschuhe gestellt. Und die vollen Säcke können wir dann einfach neben einen Mülleimer stellen“, berichtet mir Meixner. Und die Glasflasche ist zudem wichtig, um den Träger des Beutels vor potentiell übertragbaren Krankheiten durch die Spritzen zu schützen. Zudem bietet sich die Möglichkeit an, wenn man als Gruppe unterwegs ist, dass sich kleine Gruppen bilden, so dass jede Müllart getrennt gesammelt wird – wichtig zum recyclen.

Patricia und ich tragen zwar feste Gartenhandschuhe, doch sind trotzdem unsicher, weshalb wir uns dazu entscheiden, die Scherben und Spritzen, die wir finden, erst mal liegen zu lassen oder an die Seite zu räumen. Wir konzentrieren uns also vor allem auf Verpackungsmüll, Zigarettenstummel und die Überreste von Silvester. Zigarettenstummel sind nämlich besonders schlecht für die Umwelt, da sie in das Grundwasser sickern, wenn sie nass werden. „Weit sind wir ja noch nicht gekommen“, sagt Patricia lachend. „Das stimmt. Aber ich will auch gar nicht am Müll vorbei joggen und etwas liegen lassen.“

© Lara Hackmann
© Lara Hackmann

In die Knie gehen

Beim Ploggen kommt es nicht darauf an, wie viele Kilometer in welcher Zeit erreicht wurden. Denn auch wenn man nicht joggt sondern nur geht, hat Plogging die Bezeichnung als Sportart verdient: Am nächsten Tag schreibt Patricia mir, dass sie ihre Oberschenkel spürt. „Man muss aber auch die gesundheitliche Haltung schonen und beim Bücken in die Knie gehen, darauf muss man achten“, erklärt Meixner. Doch Ploggen ist nicht nur gut für die Gesundheit: Es sei nach Meixners Meinung auch etwas unheimlich Kommunikatives. So treffe man die unterschiedlichsten Menschen und knüpft Kontakte. Und das nicht nur innerhalb der Gruppe, sondern auch mit Außenstehenden, die das Ploggen meistens interessiert verfolgen: „Am Anfang haben ganz viele Leute gefragt was wir machen, einige haben blöd reagiert, aber andere sind auch spontan mitgelaufen.” Auch wir wurden von einem kleinen Jungen auf seinem Dreirad minutenlang beobachtet. Aufhören mussten wir, weil es dunkel wurde und die Müllsäcke nicht mehr zu tragen waren.

Unser gesammelter Müll © Lara Hackmann
Unser gesammelter Müll © Lara Hackmann

Mein erstes Mal Ploggen war eine positive Erfahrung und ein sinnvoll verbrachter Sonntag:  von einem Baseballschläger über Kunststoff- und Metallteile fürs Auto und Fahrrad, Müll von diversen Veranstaltungen wie Kirmes, Karneval und Silvester, einer Zwiebel und zwei Waschlappen bis zu Drogen-Utensilien wurden die unterschiedlichsten und kuriosesten Dinge gefunden und entsprechend entsorgt – insgesamt eineinhalb große Müllbeutel in unter einer Stunde. Und so kann ich am Ende des Tages sagen, es macht Spaß und tut gut. Egal, um welche Strecke es sich handelt, wo man sich befindet, ob Stadt oder Land: Es liegt genügend Müll rum, der sich lohnt aufzuheben.

 

Weitere Informationen

Geploggt wird in Bonn jeden Montag um 18 Uhr. Treffpunkt ist der Spielplatz am Hofgarten. Aufgrund der Wetterbedingungen findet das Ploggen im Winter nicht statt, sondern beginnt voraussichtlich wieder im März. Auf der Facebook- und Internetseite vom Bunten Kreis wird Tamae Meixner rechtzeitig darüber informieren.

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