An einem Samstagabend treffen sich eine Clubgängerin und ein Türsteher. Vor Corona wäre es an der Schlange vorm Einlass gewesen, heute ist es die Küche in einer Kölner Vierzimmerwohnung. Auf der Speisekarte stehen Clubnostalgie, Butterpreise und selbstgemachte Pizza.
Von Isabell Knief
„Für den Teig zerbrösle ich immer etwas Hefe in einem in ein Glas mit lauwarmem Wasser. Das verrühre ich dann mit ein bisschen Olivenöl, Salz und einer Prise Zucker, knete es mit Mehl und lasse den Teig bei Zimmertemperatur ungefähr eine halbe Stunde gehen. Für die Tomatensoße hacke ich Zwiebeln fein, brate sie in der Pfanne an, gebe Knoblauch hinzu und koche das Ganze dann mit frischem Basilikum und geschälten Tomaten auf. Am Ende schmecke ich noch mit Salz und Pfeffer ab und lasse die Soße noch etwas köcheln, damit sie schön andickt“, erklärt Bülent Erkus, der – auch wenn es danach klingt – hauptberuflich nicht als Pizzabäcker arbeitet, sondern seit zwanzig Jahren als Türsteher vor einem der beliebtesten Kölner Nachtclubs steht.

Bis heute kannte ich Bülent nur flüchtig. Wie man sich eben kennt, wenn man sich hin und wieder im Kölner Nachtleben begegnet. Für mich Freizeit, für ihn Arbeit. Seit heute weiß ich, dass der Mann mit den schwarz-grau-melierten Haaren und dem durchdringenden Blick gerne italienisch isst. „Die beste Pizza in ganz Köln gibt es bei Localino an der Deutz-Mülheimer-Straße“, verrät er mir, während wir in seiner Küche stehen und uns kennenlernen. Aber davon lassen wir uns nicht einschüchtern und werden an diesem Samstagabend versuchen, wenigstens die zweitbeste Pizza in ganz Köln zu backen.
„Wenn es einen Menschen gibt, der weiß, wie viele Giftspinnenarten und Chilis es in Australien gibt, ist es Bülent“

Während wir Champignons, Chilis, Paprika, Zwiebeln und Tomaten in kleine, mundgerechte Stücke schneiden und uns unterhalten, flackert im Hintergrund auf einem großen Flachbildfernseher MTV. Tina Turner singt mit vibrierender Stimme „One Of The Living“. Bülent mag Musikfernsehen, weiß ich von einer gemeinsamen Freundin, genauso wie Tierdokus: „Wenn es einen Menschen gibt, der weiß, wie viele Giftspinnenarten und Chilies es in Australien gibt, ist es Bülent”, hat sie mir vor unserem Treffen verraten. Aufgeschlagen auf Bülents Wohnzimmertisch liegt ein Werbeprospekt, das Angebot für Butter ist mit Kugelschreiber eingekreist. Bülent kauft regelmäßig für seine Mutter ein. Einmal kaufte er zehn Packungen Butter für sie. Ich bin Studentin und kaufe Butter grundsätzlich nur im Angebot, um zu sparen. Und auch ich liebe es, günstige Lebensmittel auf Vorrat einzufrieren. Das Eis zwischen uns ist gebrochen.
„Wir sind nicht nur ein Schutz, wir sind auch ein Halt für das Gewölbe“
Als Bülent seinen Beruf entdeckt, ist er gerade Mitte zwanzig. Er hat die Ausbildung als Schreiner hinter sich und jobbt im Maritim-Hotel als Kellner. Das war vor 20 Jahren. Damals fragt ihn sein Bruder, ob er im Gewölbe an der Tür aushelfen will. Der Eingang des Clubs noch Richtung Bahnhof. Das Gewölbe war nur ein einziger Raum, die Partys ein Geheimtipp. Heute ist der Club ausgebaut, mehrmals renoviert und deutschlandweit bekannt. Gäste reisen extra aus Hamburg oder Berlin an, die Schlange scheint manchmal endlos zu sein.

Bülent steht immer noch an der Tür, mehrmals die Woche von 22 Uhr bis 8 Uhr, und ist inzwischen eine Institution im Kölner Clubleben. So wie Moritz, sein Partner an der Tür. Er kennt ihn schon, seit die beiden fünfzehn sind. Von Anfang an arbeiten sie zusammen als Türsteher. „Ohne uns wäre das Gewölbe nicht da, wo es heute ist. Klar, das Gewölbe würde es geben – aber eben ganz anders, es hätte einen ganz anderen Status. Moritz und ich halten alles zusammen, sonst würde es eskalieren. Wir sind nicht nur ein Schutz, wir sind auch ein Halt für den Laden.“ Schon seit 20 Jahren.
„Die Leute sehnen sich danach, am Wochenende mal abzuschalten“
Eigentlich. Wäre da nicht die Pandemie. Bülent ist dreimal geimpft, hält sich an die Corona-Maßnahmen. „Ich nehme Corona sehr ernst, auch wegen meiner Mutter. Sie ist schon älter, hat Asthma und eine kaputte Lunge”. Bülent besucht sie mehrmals die Woche, sie ist ‘der Stamm der Familie’, wie er so schön sagt. “Deswegen habe ich mich von Anfang an impfen lassen.“ Vor unserem Treffen haben wir uns beide testen lassen. Sicher ist sicher. Obwohl er die Einschränkungen richtig findet, nervt ihn die Pandemie mittlerweile. 90 Prozent seiner Kontakte ruhen, er kann nicht arbeiten. Er hofft, dass die Clubs im Frühjahr wieder aufmachen dürfen. Auch ich hoffe das.

Sehnsüchtig erinnern wir uns daran, wie groß der Andrang war, als das Gewölbe im Oktober wieder öffnete. Bülents Augen leuchten, als er sich an diese Zeit zurückerinnert: „Bei den ersten zehn Veranstaltungen reichte die Schlange sogar bis zur Venloer Straße. Wir mussten genauso viele Leute wegschicken, wie drin waren, so viele standen an“. Während der Pandemie hat den Menschen der Ausgleich gefehlt, vermutet er. Wer fünf Tage in der Woche in der Schule oder Uni sitze oder arbeiten müsse, der sehne sich am Wochenende eben danach mal abzuschalten. Von Oktober bis Dezember war das im Gewölbe möglich, es gab viele Partys, aber auch einen Flohmarkt und eine Kunstinstallation. „Es wäre schön, wenn bald wieder Clubs und Konzerte stattfinden können. Denn das brauchen wir Menschen. Jeder Mensch ist anders, aber wir brauchen sowas.“

Der Einlass dauert durch die Corona-Kontrollen zwar länger, aber die Gäste freuten sich im letzten Jahr über die Gründlichkeit und Sicherheit. „Wir haben von Anfang an sehr streng kontrolliert: Impfnachweise, Tests, Personalausweise – alles abgeglichen. Viele Gästen haben damals gesagt, sie finden es gut, wie ernst wir das nehmen.“ Schon 2019, als die Pandemie begann, hat das Gewölbe schnell gehandelt: „Wir haben damals als einer der ersten Clubs auf die Pandemie reagiert“, betont Bülent, nicht ohne Stolz.
„Glaub mir, da hat mein Herz gelacht“
Ernst nehmen wir an diesem Abend auch unser Vorhaben, die zweitbeste Pizza Kölns zu backen. Das Gemüse ist inzwischen kleingeschnitten. Bülent verstreut etwas Mehl auf dem Holztisch in der Küche, rollt den Teig aus und drückt die Pizzaränder mit seinen Daumen etwas nach oben. Mit einem Esslöffel verstreicht er vorsichtig die fruchtig riechende Tomatensoße. Vor uns liegen zwei perfekte, rund-ovale Minipizzen, die darauf warten, belegt zu werden.
Auch wenn konservative Pizzabäcker auf möglichst wenig Belag schwören, schöpfen wir heute aus einer Fülle an Toppings. Nacheinander wandern frische Pilze, vorgekochte Romanescostücke und feuerrote Chilis auf die Pizza. Zum Schluss streuen wir süßlich-nussigen Emmentaler und herzhaften Cheddar über die beladenen Minipizzen. Der Ofen ist auf 250 Grad vorgeheizt, eine Hitzewolke schlägt Bülent entgegen, als er ihn öffnet, um das Blech in den Ofen zu schieben. Jetzt müssen wir nur noch warten.

Wir kehren ins Wohnzimmer zurück und lassen uns auf die graue, weich gepolsterte Couch fallen. Bülent schenkt uns ein Glas Sauvignon Blanc ein. Wir blättern durch alte Fotoalben, Bülent erzählt von früher. Seine Eltern wandern in den 80ern aus der Türkei aus, er kommt in einem Kölner Kreißsaal auf die Welt. Er wächst in einer Siedlung mit vielen anderen Kindern auf, lernt von Kindesbeinen auf Kölsch. Kindergarten, Grundschule, Gesamtschule, Ausbildung, Arbeit – seit über 40 Jahren lebt Bülent in Köln. Und ist, wie viele andere Kölner auch, nach so vielen kölschen Lebensstationen, ein richtiger Lokalpatriot. „Wenn wir aus den Sommerferien in der Türkei zurückkamen, ich hinten im Auto saß, und von der Straße aus die Domspitzen erkennen konnte, glaub mir, da hat mein Herz gelacht.“, erzählt er lächelnd.
„Du Arschloch, der Türsteher hat genau das Richtige getan!“
An seiner Heimatstadt mag er besonders die lockere, aufgeschlossene Art der Menschen. Bülent ist selbst auch ein offener Mensch: „Wenn eine Frau kommt, die schon 70 ist, die früher gerne ausgegangen ist, und sehen will, wie das heute läuft – natürlich kann die in den Club kommen. Es waren auch schon häufig Mütter oder Väter von Gästen da.“ Einmal haben ihn an der Tür drei Frauen mit Namen angesprochen, die eine meinte zu ihm „Du kennst mich nicht, aber ich kenn dich! Meine Tochter kommt hier jedes Wochenende feiern“. Die beiden machen ein Selfie zusammen und schicken es der Tochter, die sich vor Lachen nicht mehr einkriegt.

Ein Türsteher wäre aber kein Türsteher, würde er nicht auch Gäste wegschicken. „Einmal habe ich einen Typen nicht reingelassen: besoffen, arrogant, unfreundlich.“ Der Mann hatte sogar einer Frau in der Schlange in den Schritt gefasst. Bülent machte dem Mann deutlich: Im Gewölbe ist für solche Menschen kein Platz. Der Mann im Anzug, mutmaßlich von den Ringen kommend, stark alkoholisiert, wollte es nicht glauben und ließ seinen Ärger am nächsten Tag auf Facebook heraus.
„Er hat sich über uns ‘inkompetente Türsteher’ beschwert und den Club schlecht gemacht.“ Die Facebook-User reagierten mit einem Shitstorm: „Du Arschloch, der Türsteher hat genau das Richtige getan!“, „Der Türsteher hatte Recht, wenn er dich im Gewölbe abgewiesen hat“, „Wie kannst du überhaupt über einen Laden sowas schreiben, wenn du noch nicht einmal reingekommen bist!“. Der Mann meldete sich danach auf Facebook nicht mehr zu Wort und wurde auch nie wieder in der Schlange vorm Gewölbe gesehen.
„Ich war 16 und bin nicht ins Palm Beach gekommen“
Aber nicht alle Gäste, die abgewiesen werden, reagieren so. Die meisten verstehen es und nehmen es nicht persönlich. Bülent erinnert sich, wie es für ihn war, als er das erste Mal nicht in einen Club gekommen ist. „Ich war 16 und bin nicht ins Palm Beach gekommen.“ Laut lachend räumt er ein: „Und rückblickend bin ich verdammt froh, dass ich nicht reingekommen bin.“
Während wir auf der Couch sitzen, im Hintergrund noch immer MTV läuft, und die Weißweinflasche weiter leeren, strömt aus der Küche der einzigartige Geruch von frisch gebackener Pizza. Bülent holt die heißen Kostbarkeiten aus dem Ofen. Ich decke den Tisch und blicke dabei sehnsüchtig in die Küche. Als Bülent mit den Tellern ins Wohnzimmer kommt, läuft mir das Wasser im Mund zusammen: Der Käse auf der Pizza zieht Fäden, der Teig ist fluffig, an den Rändern knusprig. Als ich in die Pizza beiße, breitet sich ein warmes Gefühl in meiner Brust aus: Ja, das hier ist verdammt lecker. Fruchtig, pikant, knusprig, scharf. Ich denke, wir haben unser Ziel erreicht. An diesem Abend ist es für mich sogar die beste Pizza Kölns.
Pizzateig
- 250ml lauwarmes Wasser
- 1 Würfel Hefe
- 1 TL Salz
- 1 Prise Zucker
- 1 EL Olivenöl
- 500g Mehl
Tomatensoße
- 1 Knolle Knochblauch
- frische Basilikumblätter
- 250g geschälte Bio-Tomaten
- Salz
- Pfeffer
Toppings
- Cheddar, Mozzarella, Gouda
- Chilis
- Paprika
- Oliven
- Champignons
- Romanesco
- und alles, was sonst noch schmeckt!