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“No signs of psychosis”: Die Moving Targets inszenieren eine neue Medea-Adaption

Dumpfer Sound, kaltes Licht: Medea tritt auf. In einem grünen Schlafsack hat sie die Leichen ihrer Kinder dabei. Sie schreit. Licht aus. So beginnt die englischsprachige Neuadaption des Medea-Stoffes von Esther Takats: The Medea Fragments, es spielt das Ensemble Moving Targets.

Von Greta Weber

Sometimes I feel I’ve got to/ Run away I’ve got to/ Get away from the pain that you drive into the heart of me.

Dieser Theaterabend beginnt mit einem sanften Cover von Tainted Love und endet mit zwei Schüssen.

Viola Bender
Foto: Viola Bender

Geschrieben und inszeniert hat The Medea Fragments diese Medea selber: Esther Takats. Zu sehen gibt es keinen bloßen Neuaufguss des Mythos, sondern viel mehr ein alternatives Ende. Was wenn Medea eine Frau des 21. Jahrhunderts wäre, in dem kein Deus ex Machina sie vor ihrem Schicksal retten kann? The Medea Fragments konfrontiert die Kindsmörderin mit dem modernen Rechtsstaat. Nachdem ihre Verzweiflungsschreie nachts die Nachbarn alarmieren, nimmt sich die Polizei ihrer an. Die erste Szene eröffnet auf ein Verhörzimmer, wie man es aus jedem Krimi kennt. Ein Tisch, drei Stühle, ein karger Raum. Zwei Polizisten führen das Verhör. Währenddessen durchkämmt die Spurensicherung Medeas Haus. Bald steht fest: beide Kinder wurden durch je einen Kopfschuss getötet. Es beginnt eine Mordermittlung. Knapp, aber präzise ist diese Inszenierung, wie ein guter Krimi. Sieben Schauspieler und eine Stückdauer von gerade einmal einer Stunde versprechen einen kurzweiligen Theaterabend, und lösen ihr Versprechen ein.

 

Viola Bender
Foto: Viola Bender

Vielmals wurde der antike Mythos über Medea und Jason schon adaptiert. Von der wohl bekanntesten Fassung des Euripides ist in The Medea Fragments nicht viel übriggeblieben. Nicht nur der Deus ex Machina, auch der tragische Chor mussten dem Naturalismus dieser Inszenierung weichen. Man fühlt sich erinnert an die True Crime Erzählungen, die einem aus Zeitschriften und Podcasts bekannt sind. Familiendramen sind eben wunderbar zeitlos: Der Schmerz einer Verlassenen ist auch nach 2000 Jahren nicht geringer, nicht ungefährlicher geworden. Es ist nicht schwer sich vorzustellen von ebendieser Geschichte morgen in der Zeitung zu lesen. Doch obgleich sich das Geschehen in größtmöglicher Nähe zum Publikum ohne Bühnenaufbau auf dem Boden der Brotfabrik entwickelt, halten die tatort-esken Figuren des Rechtapparats die Medea auf Distanz. Dabei scheint der Text dem emotionalen Spiel manchmal nicht zuträglich, der Medea in ihrer emotionalen Zerrissenheit fast schon hinderlich, ja zu steif zu sein.

Foto: Viola Bender
Foto: Viola Bender

Die Fragmente sind kurz und prägnant, stets von Dunkelheit gerahmt, niemals wird ein Moment zu lange gewartet, die Spannung bricht nie ab. Immer wieder leuchtet die Bühne auf: kalt ist der Verhörraum, in dem sie nicht spricht, noch im Schock gefangen, warm die Zelle in der sie ihr Ende findet, warm auch das Haus der Medea, in das sie als Vision im Sterben noch einmal zurückkehrt. Für die Medea von heute ist die Heldensage von Jason und dem goldenen Vlies hinfällig geworden. Ihr Märchen, beschließt sie, muss ein Ende finden. Das Stück aber endet im Anfang: Medea verlässt die Bühne, um ihre Kinder ein letztes Mal ins Bett zu bringen. Melodieeinspieler: Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt. Dann knallt es zweimal. Höhepunkt. Beim Verlassen des Saales riecht es nach Explosion.

 

 

Am Sonnabend, den 20.04. ist The Medea Fragments um 20 Uhr noch einmal in der Brotfabrik zu sehen.

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