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Märchenstunde am Fluss

Märchenhaft oder schauderhaft? Es war einmal ein wunderschöner Fluss, an dem ein Märchen Jahre später wieder erzählt wurde. Kindheitserinnerungen werden zum Leben erweckt und ein alter Klassiker verwandelt sich in eine lebendige und alptraumhafte Neuerzählung aufgeführt auf einer blutigen Bühne.

von Christin Uthmann


Entlang eines Flusses stand ein Schiffswrack, das sich jemand zu einem kleinen Haus ausgebaut hatte. Es sah fast schon gespenstisch aus, aber die Idylle mit dem Fluss und den Bäumen ließ diese Szene wie in einem Märchen wirken. Schöne, hohe Bäume umrandeten das Wrack und den blauen, langen, tiefen Fluss. An einer Stelle machte dieser eine kleine Biegung und floss nach links ab. An dieser Biegung stand das Schiffswrack und schaute gelassen auf den Fluss in Richtung Norden, als ob Seeleute früher dieses Schiff benutzen wollten, es dann aber genau an dieser Stelle stecken geblieben war. Die Frau am Bug sah aus wie eine Sirene, war aber schon sehr in die Jahre gekommen. Die Farbe war abgeblättert und es fehlten ein Arm und das linke Bein. Am Heck waren Antennen angebracht. Auf dem Deck war noch ein Mast zu sehen, aber auch er kippte leicht und schien zu fallen. Es waren keine Segel zu sehen und auf Deck schien niemand zu sein. Tief im Schiffsbauch schien ein schwaches Licht. Durch die Bullaugen ließen sich ab und zu Schemen erkennen.

Foto: MARIOLA GROBELSKA von Unsplash

Ich schaute auf meine Hände. Meine rauen Hände, die diese wunderschöne zarte und liebliche Haut streiften. Sie spannte sich unter der Berührung an und versuchte, nicht zu jammern. Meine Hände strichen weiter über ihre nackten vollkommenen Beine. Die Haut so zart und perfekt für das, was ich vorhatte. Ich schaute in ihre tiefen, blauen Augen. Sie schaute mich an und versuchte, meinem Blick standzuhalten. Als ob das etwas bringen würde. Ich lächelte in die Dunkelheit hinein und begrüßte sie. Langsam strich ich mit meinen Fingern über die Fesseln an ihren Füßen. Damit sie sich nicht so stark bewegen konnte, hatte ich Seile um Handgelenke und Füße gebunden. Das Licht flackerte und schien fast aufzugeben. Aber das Kerzenglas schützte die Flamme ausreichend vor dem Wind. Ich schaute mir weiterhin ihre Beine an und stellte mir vor, wie daraus mein Kunstwerk entstehen würde. Sie versuchte, sich ein wenig aus meinen Fesseln zu befreien, aber das würde nichts nützen. Hier draußen konnte sie keiner hören und sie würde auch nicht weit kommen. Ich kannte diesen Wald und den Fluss auswendig.

Mein Großvater hatte mich in meiner Kindheit sehr oft mit hier her genommen und ich hatte hier gespielt, während er gejagt hatte. Ein kleines Wimmern brachte meine Aufmerksamkeit wieder zu der Kleinen auf dem Tisch. Sie machte Anstalten sich zu bewegen, aber ich hatte sie fest an den Tisch gefesselt. Ohne den Blick abzuwenden, ging ich auf die andere Seite und war nun am Kopfende. Lange gewellte, rote Haare lagen auf dem Tisch ausgebreitet und hingen an den Seiten ein wenig herab. Meine Hand wanderte in ihr Haar und umfasste es, eine Faust ballend, fühlte ich das seidige Haar auf meiner Haut. Sie wimmerte leise vor sich hin und schaute sich um. Sie konnte nicht wissen, wo sie war. Für sie war es zu dunkel und ich kannte mich hier aus. Wie automatisch ging ich ein paar Schritte vom Tisch weg und musste dabei ihre Haare fallen lassen. Meine Beine trugen mich zu der kleinen Kommode an der Wand. Sie war aus Nussbaum gefertigt und passte so perfekt wie der Tisch in dieses Zimmer. Ich hatte den Tisch vor Jahren aus Teilen des Schiffes gebaut und ihn dann für dieses Vorhaben vorbereitet. Die Kommode hatte ich in einem Vintage-Shop gefunden, die Spielzeuge darin hatte ich mir mühsam zusammengesucht. Ich öffnete die oberste Schublade und holte Nadel und Faden heraus. In der zweiten Schublade fand ich mein Messer, welches ich auch zum Jagen benutzte. Neben der Kommode lehnte eine Axt mit dunkelgrünem Griff an der Wand. Das Messer, Nadel und Faden in meiner rechten Hand und die Axt in der linken Hand ging ich wieder zu dem Tisch in der Mitte des Raums. Ich legte alles ans Ende zu ihren Beinen.

Sie starrte mich angsterfüllt und mit großem Entsetzen an. „Was machst du da? Was hast du vor?“, sagte sie mit zitternder Stimme. Ich lächelte sie an. Ich wusste genau, was ich da machte. Ich wusste genau, was ich vorhatte. „Hey, ich werde dich in etwas Hübsches verwandeln. Es wird wehtun, aber am Ende wirst du einfach perfekt aussehen.“ Ich grinste sie an und strich ihr über das Gesicht. Sie zitterte leicht und ich spürte eine kleine Träne über ihre Wange rollen. „Ssschh. Du musst nicht weinen. Es wird alles gut.“ Eine weitere Träne rollte über ihr Gesicht und auch diese fing ich auf. Meine kleine perfekte… Ein lauter Knall ertönte und ließ mich zusammenfahren.

Kurz war ich wieder im Wald mit meinem Großvater und seinen Schlägen. Eins. Zwei. Drei. Es waren immer drei Schläge. Drei Schläge, damit ich gehorsam war. Damit ich aufhörte dummes Zeug anzustellen. Aber ich war noch klein und er wusste es nicht besser, dachte ich.

Foto: LUM3N von Unsplash

Ich drehte mich um und schaute, wo der Knall herkam. Meine Axt lag nun auf dem Boden. Die kleine Maus vor mir hatte es geschafft, das Bein zu bewegen und die Axt herunterzutreten. Meine Schläfen fingen an zu pochen. Meine Atmung beschleunigte sich. Ich hob die Axt auf und stütze mich mit ihr auf dem Tisch ab, sodass sie die Axt und mich sehen konnte. Eine Weile schaute ich sie an. Ich hatte wieder alles unter Kontrolle. Ich lächelte sie an und versuchte, all meine Vorfreude auf die nächsten Stunden in diesen Blick zu legen. Meine Hände strichen über meine Axt und dann über ihre Beine. Diese Beine waren es, die später zu einem wunderschönen perfekten Kunstwerk werden würden. Ich nahm mein Messer und fuhr mit der Klinge ihre Porzellanhaut entlang. Mit etwas mehr Druck kam schon ein wenig Blut aus einem Schnitt an der Außenseite ihres linken Oberschenkels. Immer weiter nach unten, bis zu ihrem Fuß. Ich teilte ihre Haut und sie schrie. Schrie und schrie und schrie. Sie schrie ihren ganzen Schmerz heraus, aber die Tiere im Wald würden sich nicht darum kümmern. Ich fing mit der Innenseite des linken Beines an und schnitt auch hier eine gerade Linie von oben nach unten zu ihrem Fuß. Ganz langsam und genüsslich filetierte ich ihr linkes Bein. Ich schnitt die dünne Haut am Knöchel auf und ab. Widmete mich dem Schienbein und weiter nach oben. Ich schnitt die Haut nicht ganz ab. Am oberen Ende des Oberschenkels hörte ich auf, machte ganz langsam weiter und widmete mich dann dem rechten Bein. Ich fing wieder außen an und schnitt eine gerade Linie zu ihrem Fuß. Innen machte ich das Gleiche.

Sie schrie schmerzerfüllt. Ich hätte sie betäuben können. Ich hatte darüber nachgedacht, hatte aber die Hoffnung, dass es so aufregender ist. Siehe da, ich hatte Recht, es machte so viel mehr Spaß. Das Blau in ihren Augen zu sehen. Das schöne Blau in ihren Augen gepaart mit der Angst. Es war schon fast befriedigend. Meine Hände waren mit Blut verschmiert, als ich zum Waschplatz ging und einen Lappen holte. Wenn man die Haut richtig abzog, dann floss nicht so viel Blut und es blieb eigentlich sauber. Bei Tieren, also bei kleinen Tieren war es so, aber hier bei einem Menschen war es anders. Es macht so viel mehr Spaß, einem Menschen die Haut abzuziehen. Ich wusch meine Hände und befreite mich von dem Blut. In der Ecke neben der Tür stand ein kleiner CD-Player und ich spielte Musik ab. Mausoleum kam aus den Boxen und ich drehte die Lautstärke höher.

Foto: Liam Arning von Unsplash

Dann ging ich wieder zu dem Tisch. Die Klaviertöne kamen dunkel aus den Lautsprechern und fuhren direkt in meinen Körper. Sie schaute mich nicht mehr an, aber das war nicht schlimm. Die Augen waren geschlossen. Sie atmete noch. Sehr leicht, aber sie war noch am Leben. Ich hoffte, dass sie bis zum Schluss durchhielt und unser Kunstwerk betrachten konnte. Ich löste ihre Fesseln und drehte ihren zarten Körper vorsichtig. Sie lag jetzt auf dem Bauch, so dass ich mit der Rückseite ihrer Beine weitermachen konnte. Langsam trennte ich ihre Haut auch hier ab, wie ich es schon vorher gemacht hatte. Ihre Augen waren immer noch geschlossen, aber sie atmete noch. Starkes Mädchen. Sehr starkes Mädchen.

„Mal sehen, wie lange du noch aushältst“, flüsterte ich in die Dunkelheit. Ich würde sie jetzt eh etwas mehr quälen müssen, da kam die Musik gerade richtig, auch wenn ihre Schreie auch in weiter Ferne niemand hören würde. Ich musste ihre Muskeln und ihre Knochen formen, damit sie aussahen wie eine Schwanzflosse. Wie bei einer Meerjungfrau.

„Villads! Komm her!“, rief mein Großvater aus dem Wohnzimmer. Immer wenn er im Wohnzimmer war, hieß es, dass er trank. Aber das störte mich nicht. Er las mir jeden Abend, auch wenn er betrunken war, aus dem Märchenbuch vor. Meistens schlief ich ein, aber bei einem Märchen war ich jedes Mal hellwach. Ich lief zu ihm und setzte mich auf den Boden vor seinem Sessel. Er hielt schon das rote Märchenbuch in der Hand. Es war ein wenig kaputt, aber schon seit Generationen in der Familie. Er schlug es auf. „Und? Welches Märchen sollen wir heute lesen?“, fragte er mich mit der tiefen Stimme, die Großväter immer hatten. Ich könnte hier Stunden sitzen und ihm zuhören, aber manchmal kamen wir nicht dazu. Manchmal wurde er so wütend, dass er mir befahl, in mein Zimmer zu gehen. An anderen Tagen… schlug er mich auch, damit ich auf ihn hörte.

Ich spannte ihre Haut und befestigte sie mit Nadel und Faden. Ich nähte die beiden Hautlappen aneinander. Dann schob ich sie nach oben und legte sie wie eine Decke auf ihren halbnackten Oberkörper. Danach suchte ich meine Axt. Sie stand am Tischbein, wo ich sie abgestellt hatte. Sie war schwer in meiner Hand, aber nicht zu schwer. Ich konnte sie mit Leichtigkeit über meine Schultern nach hinten heben und dann auf ihre Beine sausen lassen. Auch davon wachte sie  nicht auf und ich konnte unbeirrt weitermachen. Sie schien ihr Bewusstsein inzwischen verloren zu haben, denn sogar ihr leises Wimmern konnte ich nicht mehr wahrnehmen. Ich brach ihr die Knochen im Bein und in den Füßen. Erst rechts und dann links. Ich musste noch zu meiner Kommode gehen und einen Hammer holen. Damit konnte ich die Knochen besser in die Form bringen, die ich brauchte. Langsam nahm alles Gestalt an. Ihre Beine waren weg und sahen fast aus wie eine Schwanzflosse. Ich nähte ihre Haut zusammen. Ganz fein und fast schon perfekt so, dass man die Naht nicht sah.

Mit Wasser und einem Schwamm wusch ich Blut und Schweiß von ihr. Aufwachen würde sie nicht mehr, da war ich mir sicher. Ihr Puls ging ganz langsam. Ihre Haut war kühl. Aber als mich blaue Augen anschauten, freute ich mich. Sie würde das Ergebnis doch noch sehen. Ich ging noch einmal zur Kommode und holte blaue fließende Seide heraus. Ein Bikinioberteil in blau und ein paar Halsketten mit Muscheln. Ich zog ihr alles an und holte den großen Spiegel, der gegenüber der Kommode an der Wand lehnte. Ich entzündete eine weitere Kerze und zeigte mein Kunstwerk der schönen rothaarigen Meerjungfrau. Sie lächelte nicht.


Polizei Jütland: Leiche im Schiffswrack eines Flusses gefunden – Staatsanwaltschaft und Mordkommission ermitteln

Bei Ermittlungen im Zusammenhang mit einer Bestandssicherung am Gudenå machten Ermittler der zuständigen Wasserschutzpolizei eine überraschende Entdeckung: Während der Inaugenscheinnahme eines sichergestellten Schiffswracks auf dem Gewässer am 05.10.1996 fanden sie im Schiffsinneren eine Leiche. Eine rothaarige Frau wurde in einer Box wie eine Puppe ausgestellt. Sie trug ein Kostüm und wurde zurecht gemacht wie eine Meerjungfrau. Die Verstorbene wurde geborgen und im Institut für Rechtsmedizin untersucht. Der Nutzer des ausgebauten Schiffswracks konnte nicht ausfindig gemacht werden. Die Ermittlungen dauern an.

Quelle Beitragsbild: Jan Huber von Unsplash