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Reportage: „I am your future boss, not your future wife“ – Über die Ambitionen der größten Frauenuniversität der Welt

Sie ist eine der prestigeträchtigsten Universitäten in Südkorea und ganz Asien. „Wahrheit, Güte, Schönheit“ lautet ihr Universitätsmotto. Ihr wunderschöner Campus zieht immer mehr Touristen an und macht sie zu einem beliebten Instagram-Spot. Sogar unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel erhielt hier 2010 die Ehrendoktorwürde: Die Ewha Womans* University in Seoul ist mit über 20.000 eingeschriebenen Studentinnen die größte Frauenuniversität der Welt. Doch wie lebt und studiert es sich hier? Und warum dürfen auch Männer an der Ewha ein Studium aufnehmen?

*Für die englische Übersetzung des Namens entschied sich die Ewha entgegen der englischen Grammatikregeln nicht für die Verwendung des Wortes “women”, sondern “woman”, um zu betonen, dass jede Frau als einzigartige und individuelle Studentin zur Gesamtheit beiträgt, die die Ewha ausmacht.

Von Madlien Schimke

 

 Imagevideo der Ewha Womans University

 

Dort studieren, wo andere für Instagram posieren

Ein Nachmittag in Seoul: Frühling, blauer Himmel, Sonne. An Tagen wie diesen ist es besonders schwierig, sich zwischen den vielen Menschen einen Weg durch die Menge zum Seminar zu bahnen. Am Haupttor der Ewha Womans University ist die Hölle los. Doch nicht alle sind hier Studentinnen. Denn Touristen überfluten den Campus für ihre Instagram-Bilder. Die „Flower Wall“ am Haupttor ist sogar von einer Urban Legend umwoben. Eine Chinesin soll einst eine der Steinblüten berührt haben und kurz danach reich geworden sein.

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Mein Unterricht findet in Koreas größtem und umweltfreundlichsten unterirdischen Campus statt: Dem ECC – kurz für Ewha Campus Complex, der ebenfalls ein beliebter Instagram-Hotspot ist. Kein Wunder, denn neben der außergewöhnlichen, futuristischen Architektur finden sich neben den hochmodernen Klassen- und Computerräumen, unter anderem auch eine Bankfiliale, ein Starbucks, ein Blumenladen, ein Kino und Restaurants. Den Touristenströmen zu entfliehen fällt aber auf diesem Campus nicht schwer. Denn das Universitätsgelände ist groß. So groß, dass die Uni einen eigenen Bus hat, um die Studierenden von A nach B zu bringen. Konkret sind das 544.964 qm, also mehr als 54 Fußballfelder, wenn man von Fußballfeldern ausgeht, die einen Hektar groß sind. Neben den gepflegten Gärten und Wegen gibt es Hogwarts-ähnliche Steinhäuser und traditionelle Hanok-Häuser zu entdecken.

 

Mehr als nur eine hübsche Fassade

„I am your future boss, not your future wife“ steht auf einem großen Banner, an dem die Studentinnen auf ihrem Weg zur nächsten Vorlesung vorbeikommen. Ein anderes, meterhohes Plakat am Haupttor der Universität verkündet: „We run the world!“ (Beyoncé wäre stolz). Auf dem gesamten Campus sieht man Studentinnen mit ihren College-Jacken, die sie stolz tragen – genauso wie das Testimonial „Ewha – Where Change Begins“, das auf dem Rücken eingestickt ist.

Am Empowerment kommt man auf dem Ewha-Campus nicht vorbei. „Die Ewha selbst ist ein Symbol des Feminismus. Ein Großteil der Ewhaians versucht, die Ungerechtigkeit [in der Gesellschaft] zu kritisieren und gute Lösungen zu erreichen“, erklärt Minju, die hier Politikwissenschaft studiert. „In den letzten Jahren nahmen viele von ihnen an den Demonstrationen zu Problemen wie den „Spy Cameras“ [versteckte Kameras z.B. in öffentlichen Toiletten] und zur sexuellen Gewalt teil und verschafften sich Gehör.“

„Die Ewha hat mir geholfen, ich selbst zu sein und an mich zu glauben.“

Auf die Frage, wie sie persönlich von dieser Umgebung profitiert habe, erzählt sie: „Die Ewha hat meine Sichtweise auf die Gesellschaft verändert. Ich denke, das Motto der Ewha vermittelt, mutig zu sein, herauszufordern und bedeutsame Veränderungen zu verfolgen“. Bevor die Koreanerin an der Ewha studierte, sei es für sie normal gewesen, sich den gegebenen Standards der Gesellschaft anzupassen. „Die Ewha hat mir geholfen, ich selbst zu sein und an mich zu glauben“, sagt sie.

Initiativen, wie die #MeToo-Bewegung, an der auch Studentinnen der Ewha beteiligt waren, sorgen jedoch nicht nur bei den jungen Frauen für Veränderungen und Fortschritt. „Die #MeToo-Debatte hat in Korea einen hohen Grad an Sensibilität gegenüber sexualisierter Gewalt geschafft. Und das findet nicht nur unter den jüngeren Generationen, sondern auch bei der älteren Generation der Frauen statt“, sagt Sung Un Gang, Kulturwissenschaftler am Institut für Orient- und Asienwissenschaften der Universität Bonn. „Sie erkennen plötzlich, warum es ein Problem war, was sie erlebt haben und sprechen das zum Teil auch aus oder setzen sich damit auseinander.“

Der Wissenschaftler erkennt auch in der südkoreanischen Arbeitswelt im Hinblick auf die Stärkung der Frauenrechte noch Handlungsbedarf. Oftmals sei es so, dass die Frauen mit der Geburt eines Kindes ihre Karriere beenden würden. Denn von den Frauen wird oftmals erwartet, eine Hausfrau und „gute“ Mutter zu sein.

„Sie erkennen plötzlich, warum es ein Problem war, was sie erlebt haben und sprechen das zum Teil auch aus oder setzen sich damit auseinander.“

Die Ewha zeigt stolz, wie es auch anders gehen kann. Die Liste der Pionierleistungen von Vorzeigealumni ist lang: Die erste weibliche Richterin am koreanischen Verfassungsgericht (Jeon Hyo-sook), die erste Professorin für Frauenstudien in Korea (Chang Pil-wha), der erste weibliche CEO in Südkoreas Versicherungsbranche (Sohn Byoung-ok), die erste weibliche Vorsitzende der Hyundai Gruppe (Hyun Jeong-eun), um nur einige zu nennen. Das Motto „I am your future boss“ ist nicht nur eine leere Worthülse.

Der Bonner Wissenschaftler Sung Un Gang sieht Frauenuniversitäten für die Studentinnen als eine Art „Safe Zone“. Dort würden feministische Debatten insgesamt einen größeren Raum haben, erklärt er. Vor allem Studiengänge bzw. Forschungsrichtungen wie die Gender Studies oder die Frauenforschung (Women’s Studies) seien an südkoreanischen Universitäten weniger etabliert. Auch in diesem Bereich hat die Ewha eine Pionierleistung zu verzeichnen: Frauen können hier seit 1977 Frauenforschung betreiben.

Die „Safe Zone“ gilt jedoch nicht nur für die feministischen Debatten. Auch sonst fühlt sich die Ewha an wie eine etwas heilere Welt. „Draußen“ in der koreanischen Gesellschaft herrschen fast unerreichbare Schönheitsideale. Hier drinnen bewegen sich die Studentinnen frei mit Lockenwicklern in den Haaren, in Jogginghosen oder Kleidern, mit oder ohne Makeup: Niemand wird schief angeschaut.

Auf dem Ewha Campus wird penibel auf Sicherheit und die Einhaltung strenger Regeln geachtet. Die Kameraüberwachung auf dem Campus und auf den Fluren der Wohnheime, ein Sicherheitsdienst und ein Strafpunktesystem zeigen, dass die Universität diesen Auftrag ernst nimmt. Studentin Minju wohnt im neugebauten und hochmodernen E-House, das nur Vollzeitstudentinnen beziehen dürfen. Bis spätestens 24 Uhr muss sie zurück im Wohnheim sein. Für jeden Verstoß bekommt sie Strafpunkte: Zwei Punkte, wenn sie verspätet, das heißt zwischen Mitternacht und 5 Uhr morgens, zurück ins Wohnheim kommt. Drei Punkte, wenn sie ohne Erlaubnis nachts wegbleibt und nach 5 Uhr ins Wohnheim zurückkehrt. Bei zehn Punkten würde sie des Wohnheims verwiesen werden.

Auch für die Austauschstudenten im Wohnheim „International-House“ gibt es dieses System. Bereits die unbegründete Abwesenheit bei der Informationsveranstaltung über Sicherheit und das Strafpunktesystem bedeutet erste Strafpunkte. Hier wird aufgeklärt: Fünf Punkte gibt es für den Besitz eines Wasserkochers und den Verweis aus dem Wohnheim für das Benutzen des Wasserkochers. Laut Musik hören, einen Nagel in die Wand schlagen, der Genuss von Alkohol – alles verboten. Der Vorteil liegt in der heiligen Ruhe zu allen Zeiten.

 

Eine eigene kleine Welt ohne Männer? Nicht ganz.

Was würde wohl die Gründerin der Ewha sagen, wenn sie die Universität heute sehen könnte? Mary Scranton, eine US-amerikanische methodistische Missionarin, gründete 1886 mit der damaligen „Ewha Hakdang“* das erste moderne Bildungsinstitut für koreanische Frauen. Sie begann mit einer einzigen Schülerin und unterrichtete anfangs bei sich zu Hause. Heute zählt die Ewha über 20.000 Studentinnen. Wider Erwarten studieren hier aber nicht nur Frauen.
*“Ewha“ bedeutet Birnenblüte (wegen der Birnenbäume neben der Schule); „Hakdang“ bedeutet Schule

„Ich habe mich sehr darauf gefreut, eine Frauenuniversität zu besuchen, weil ich Freundinnen finden wollte“, erzählt die US-amerikanische Austauschstudentin Angela aus Maryland. „Natürlich war ich überrascht, wie viele männliche Austauschstudenten herkamen. Ich dachte, dass vielleicht ein oder zwei hier sein würden, aber es war anders, als gedacht.“

Neben männlichen Professoren dürfen nämlich auch männliche Austauschstudenten an die Ewha kommen. 2017 waren rund 19 % der Austauschstudierenden männlich. Dies gewährleistet den Austausch mit den Universitäten im Ausland, die von Männern und Frauen besucht werden. Für Koreaner außerhalb der Ewha ist dies oft neu und trifft auf Verwunderung.

Unabhängig des Geschlechts der Menschen in ihrem Umfeld steht für Austauschstudentin Angela aber eins fest: “Die Ewha war für mich die richtige Wahl. Die Professoren und die Freundschaften, die ich geknüpft habe, veränderten mein Leben.“

 

Fotos: Madlien Schimke

 

 

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