2016 März 2016: Luxus & Verzicht

Generation Fair-Trade-Limo

Foto: Kim Schibilla
Foto: Kim Schibilla

Unsere Beziehungsunfähigkeit hat dank Autor Michael Nast einer ganzen Generation ihren Namen gegeben. In den Augen philosophischer Facebook-Artikel und frustrierter 22-Jähriger sind wir zu emanzipiert für die Liebe und zu erfolgreich zum Heiraten. Warum stecken dann alle meine Freunde in Langzeitbeziehungen?

Es ist soweit. Auf Facebook tauchen die ersten Verlobungsfotos auf. Verliebte Pärchen und funkelnde Ringe strahlen mich von romantisch gefilterten Selfies an, im Hintergrund der Eifelturm. Hektisch klicke ich auf das Profil dieses Freundesfreunds. Scheiße – ein Jahr jünger als ich. Wie konnte das passieren? Warum will der das?

Medienliebling Generation Beziehungsunfähig scheint sesshaft zu werden. Tatsächlich hat sie es nie richtig geschafft sich aus dem Bett zu quälen. Kuschlige Netflix-Abende statt Tinder-Date und Vollkornbrötchen statt Bier zum Frühstück sind traurige Realität. Und so viel gemütlicher. Was Michael Nast erfolgreich feministischen mitt-90er-Kindern predigt, ist kein Generationsproblem. Ein Single-Dasein ist keine Konsequenz von Selbstverwirklichung und der Job nicht an allem Schuld. Wir leben nicht in der 70ern, das Spießbürgertum unserer Eltern ist kein Horrorszenario mehr aus dem wir ausbrechen müssen.

Trotzdem fühlen wir uns von diesem klischeerezitierenden Blondschopf verstanden: Ja! Wir wollen Karriere machen. Wir wissen, was wir können. Wir wollen den optimalen Partner, der uns Freiheiten gibt, und uns unterstützt. Der über die Flüchtlingsdebatte diskutieren kann und abends mit uns Katzenvideos guckt – nicht die erste Schulzeitliebe, keine Doppelhaushälfte. Wir wissen, dass es im Leben mehr als alles geben muss. Denn natürlich sind wir nicht wie unsere Eltern, wir haben viel mehr Möglichkeiten. Wir waren im Ausland, sprechen norwegisch und portugiesisch, haben uns durch vielversprechende Praktika qualifiziert und werden unseren Traum leben. Im Altbau, Urlaub in Vietnam und einem Sohn mit schwedischem Namen. Bloß nicht angepasst.

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Foto: Kim Schibilla

Wir sind nicht wie unsere Eltern, die waren um einiges cooler. Vor kurzem war mein Cousin aus Berlin zu Besuch und wir haben uns alte Familienfotos angeschaut. Von unseren Müttern, mit Lederjacke, durchsichigen Blusen zu Weihnachten, schwarzem Lippenstift und Freunden auf Motorrädern. Während wir auf der Couch saßen, Vegetarier, Nicht-Raucher. Abgeschlossenes Studium und Langzeitbeziehung. Unsere Generation will nicht ausbrechen, sie will Fair-Trade-Limo und einen Job beim Feuilleton, einen Partner fürs Leben obendrauf.

Und woran liegt es dann, wenn wir noch Single sind? Unser Job ist es nicht, der uns an einer Beziehung hindert, auch Tinder ist nicht Schuld. Und erst recht nicht die Gesellschaft, unser Beziehungsfindungs-Endgegner. Nast hat eine nette Anekdote parat, um seinen Standpunkt zu untermauern. Er hat da einen Freund. Der Freund hat sich von seiner Freundin getrennt, aus egoistischen Gründen. Er will Karriere machen, sich beruflich verwirklichen. Sie passt da nicht rein.

Ich habe auch Freunde, die meisten in Beziehungen, die meisten haben schon mal mit irgendwem Schluss gemacht oder wurden verlassen. Nur die Gründe sind weniger beziehungsunfähigkeitskonform. Er hat sie betrogen, sie hat ihn betrogen, er vermisst sie nicht mehr, sie erträgt es nicht mehr wie er Äpfel isst, er fühlt sich kontrolliert, sie will mehr Unterstützung. Kurz: Sie sind nicht mehr glücklich. Nicht beziehungsunfähig. Sie haben die Wahl sich zu trennen, und das ist gut so.

Wir wollen einfach nur alles. Genauso wie alle Generationen vor uns. Nur sind wir arrogant genug es auch zu fordern. Eine Beziehung fürs Leben, Master-Abschluss, 1,38 Kinder und Karriere. Wir haben nicht mehr das Gefühl uns anpassen zu müssen, auch müssen wir aus nichts ausbrechen. Ehen können geschieden werden, man darf sich neu verlieben. Also können wir uns bequem dem emanzipierten Spießbürgertum hingeben. Inklusive Beziehung, wenn’s klappt.

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