Transsexualität ist in unserer modernen Zeit immer noch ein Tabu-Thema. Unsere Medienlandschaft wirkt zwar sehr liberal und vielseitig, jedoch bekommen Transgender-Thematiken viel zu wenig Präsenz in Film und Fernsehen. Die Serie GENDERS* versucht den Klischees entgegenzuwirken und gewährt uns dabei private Einsicht.
Von Yee-Ming Lam

Gleich begegne ich Moritz im Hofgarten. Er ist einer der zwei Mitbegründer und Regisseure der Web-Serie GENDERS*. Wir haben uns noch nie zuvor gesehen, aber ich weiß bereits etwas sehr Intimes über ihn: Er war mal eine Frau. Leider kann ich mich nicht ganz von den stereotypen Gedanken befreien und erwische mich bei der Frage: „Soll ich nun nach einem feminin aussehenden Mann Ausschau halten?“ Zum Glück war dies nicht nötig und Moritz und ich fanden uns direkt. Volles, dunkles Haar, Dreitagebart und warmherzige Augen. Moritz Erscheinung war angenehm, die Gedanken rund um sein Geschlecht lösten sich schlagartig auf.
Transsexualität gilt nicht mehr als psychische Störung
Im Juni 2018 wurde bekannt gegeben, dass in der neuen Version der Krankheitsklassifikation der Weltgesundheitsorganisation Transgender-Menschen nicht mehr als psychisch krank gelten. In Zukunft wird Transsexualität unter dem Überbegriff “sexueller Gesundheitszustand” gelistet sein – und nicht mehr wie bislang in der Rubrik der “psychischen Störungen”. Studien können immer noch nicht klar belegen, ob die Geschlechtsidentität etwas Neurologisches oder Psychisches ist. Sicher ist jedoch, dass Transgender-Menschen unter einem gesellschaftlichen Stigma leiden, das häufig zu Diskriminierung und Ausgrenzung im privaten sowie beruflichen Umfeld führt. Diese Ablehnung und die Geschlechtsdysphorie an sich können wohl in den meisten Fällen zwangsläufig eine psychische Störung hervorrufen.
„Als ob Transsexualität ein Kostüm oder nur eine Show wäre.“
In den letzten Jahren erlangten Persönlichkeiten wie Caitlyn Jenner und Laverne Fox („Orange Is The New Black“) große Bekanntheit in den Medien. Sie werden als „Transgender-Ikonen“ gefeiert, die an vorderster Front für Gleichberechtigung kämpfen. Ein ebenso gutes Beispiel stellt Conchita Wurst dar, die den Eurovision Song Contest 2014 gewann und gern mit der Gender-Inszenierung in der Öffentlichkeit spielt. Allerdings stellt sich die Frage, ob sie nicht nur vereinzelte Ausnahmen repräsentieren, die gesellschaftlich akzeptiert werden, weil sie einen hohen Unterhaltungsfaktor mit sich bringen. Es sind meist scheinbar makellose Transfrauen und Dragqueens, die uns vermehrt in den Medien gezeigt werden. Sie stellen vielmehr eine glamouröse Kunstfigur dar, die für eine solche Inszenierung leben. Sie haben kaum noch etwas mit den schätzungsweise restlichen 99% der Trans-Gemeinde gemein, die nicht in der Öffentlichkeit stehen. Man müsste meinen, ein solch offener Umgang mit Transsexualität sollte zu mehr Toleranz führen, jedoch bemerkt man davon nicht viel, wenn es um Gleichstellung und Selbstbestimmung von LGBTIQ geht. Können solche „Transgender-Ikonen“ wie Caitlyn, Laverne und Conchita überhaupt was für den Rest der Community ändern?
Es gibt bisher nur wenige Filme und Serien, die sich auf Transgender-Figuren konzentrieren und in denen nicht nur Transfrauen, sondern auch Transmänner gezeigt werden. Viel zu häufig kommen stereotypische Dragqueens vor, die somit das öffentliche Bild von Transsexualität verzerren. Dies gab Moritz und Sam 2015 die Inspiration zu ihrer fünfteiligen Serie GENDERS*. Sie waren Anfang 20, als sie sich mit ihrer Idee an Falk Steinborn wandten. Er ist Gründer des Vereins queerblick, der Jugendliche vor, im und nach dem Coming-out durch Medienarbeit unterstützt. In der Vergangenheit haben sie bereits an gemeinsamen Medienprojekten zu LGBTIQ-Themen gearbeitet und GENDERS* sollte das nächste werden. Finanziert haben sie sich durch Spenden und Fördergelder von Aktion Mensch. Das Kölner Jugendzentrum anyway, speziell für homo-, bi- und transsexuelle Jugendliche, stellte ihnen Equipment und Räumlichkeiten zur Verfügung. Allerdings wurden auch viele Szenen in ihren privaten Wohnungen gedreht, da das Budget knapp war.
Leider scheint es Normalität zu sein, dass solche Produktionen nur laienhaft durchgeführt werden können, damit derartige Thematiken überhaupt bedient werden. Mit der Amazon-Serie „Transparent“ wurde schon mal ein Anfang gemacht, jedoch durstet die LGBTIQ-Gemeinde nach mehr authentischen Filmen und Serien. Meist stehen die anfängliche Identitätsfindung und die allmähliche Angleichung an das gefühlte Geschlecht im Fokus. Seltener bekommt man die alltäglichen Herausforderungen der Anpassung zu sehen. So scheint die Sexualität von Transgender-Menschen noch viel zu befremdlich für die Gesellschaft zu sein. Ist sie einfach noch nicht bereit für die direkte bildhafte Konfrontation von so etwas Ungreifbarem?
Cis-SchauspielerInnen spielen Trans-Rollen – Aber was ist mit Trans-SchauspielerInnen?
Sam und Moritz schrieben gemeinsam das Drehbuch bevor sie ein Team zusammenstellten. Dabei war es ihnen wichtig, dass der Cast fast ausschließlich aus Trans-Personen besteht. Aktuell dazu stand Scarlett Johansson scharf in der Kritik, weil sie als Cis-Frau die Rolle eines Transmannes im Film „Rub & Tug“ bekommen hat. Die Geschichte beruht auf den wahren Begebenheiten eines amerikanischen transsexuellen Bordellbesitzers, der in den siebziger Jahren mehrere Massagesalons betrieben hat. Die Kritik kommt vor allem von Trans-SchauspielerInnen, die beklagen, dass sie ohnehin kaum Chancen auf dem Schauspielmarkt hätten, da sie nie für Cis-Rollen gecastet werden. Da ist der Aufschrei verständlicherweise groß, wenn es endlich mal Drehbücher mit Trans-Figuren gibt, die dann aber, aufgrund ihres Mainstream-Star-Faktors, an große Cis-Hollywood-SchauspielerInnen vergeben werden. Der Tropfen, der das Fass höchstwahrscheinlich zum Überlaufen bringt, ist die Flut an Preisen, die sie für ihre Leistung erhalten. Jared Leto bekam einen Oscar für seine Darstellung einer Transfrau im Film „Dallas Buyers Club“ (2013) und Hilary Swank für „Boys Don’t Cry“ (2000). Eddie Redmayne wurde für „The Danish Girl“ (2016) und Felicity Huffman für „Transamerica“ (2005) nominiert. Aufgrund des großen Shitstorms und dem dahinterstehenden gesellschaftlichen Druck, hat Scarlett Johansson mittlerweile die Filmrolle wieder abgelehnt. Jetzt stellen sich zwei Fragen: Wer wird den Part übernehmen und werden die Verantwortlichen aus diesem Vorfall lernen?
Es erweckt den Anschein, dass Cis-SchauspielerInnen glaubhaft Trans-Figuren spielen können, aber umgekehrt ihnen diese Fähigkeit aberkannt wird. Doch wo bleibt da noch Platz für Trans-SchauspielerInnen, wenn sie sich nicht mal „selbst“ darstellen dürfen?

„Es wird meist eine Person gezeigt und es wirkt so, als müssten alle so sein wie sie.“
Die Serieninhalte bei GENDERS* sind zwar rein fiktiv, aber es ist nicht zu leugnen, dass natürlich eigene Erfahrungen sowie jene aus dem näheren Umfeld mit eingeflossen sind. Den Machern war eine Vielfalt an unterschiedlichen Figuren wichtig, um weg von Stereotypen und hin zu realistischen Persönlichkeiten zu kommen. Mit GENDERS* sprechen sie eine weitere Randgruppe an, die in den Medien noch weniger gezeigt wird als Transgender – geschlechtsneutrale Personen. Nicht-binäre oder auch gender-queere Menschen fühlen sich weder dem einen noch dem anderen Geschlecht zugehörig. Dies betrifft laut der ZEIT-Vermächtnis-Studie von 2016 3,3 Prozent bzw. 2,5 Millionen Menschen der deutschen Bevölkerung.
GENDERS* zeigt auf authentische Art und Weise die persönlichen Herausforderungen von jugendlichen Transgender-Personen – wie das Erkennen der eigenen Identität, das Coming-out, die Herausforderung bei der PartnerInnensuche, die Nichtakzeptanz und das „Misgendern“ im Alltag. Die beiden Entwickler geben zu, dass mehr die negativen Aspekte von Transsexualität im Vordergrund stehen, da sie sich selbst noch relativ am Anfang ihrer Identitätsfindung befanden.
Mit der Serie wollen sie aber nicht moralisch belehren, sondern vielmehr Aufklärung über die Thematik betreiben und zeigen wie Betroffene sich in gewissen Situation fühlen und warum sie so handeln wie sie es tun. Dabei erheben sie allerdings nicht den Anspruch, dass ihre Figuren perfekt seien oder immer das Richtige machen. Mit diesem Projekt wollten Sam und Moritz vor allem eine Identifikationsmöglichkeit für Transgender- und Aufklärung für Cis-Menschen betreiben, um ihnen diese Thematik näherzubringen. Dabei schreckten sie auch nicht vor unangenehmen Themen wie Selbstverletzung zurück. Die Wahrscheinlichkeit an Depressionen zu erkranken oder suizidgefährdet zu sein ist bei Trans-Menschen viel höher als bei Cis-Menschen. Um Verständnis und Akzeptanz zu erlangen, müsse der Gesellschaft die unverblümte Realität gezeigt werden, damit sie sensibler der Thematik und den Menschen gegenüber sein können. Ihre Lebensumstände werden durch diesen Einblick greifbarer gemacht, sodass die erste Assoziation zu dem Begriff Transgender vielleicht nicht mehr die einer Dragqueen-Show ist.

„Es ist okay, anders zu sein. Es ist okay, sich nicht sicher zu sein, wer man ist.“
GENDERS* soll Mut machen, denn die Botschaft der Serie lautet: „Es ist okay, zu sein, wie man ist. Es ist okay, anders zu sein. Es ist okay, sich nicht sicher zu sein, wer man ist“. Das Team hat bereits viel gutes Feedback erhalten, und erfahren, dass ihr Projekt Menschen in ähnlichen Situationen sehr geholfen hat. Die Nachfrage nach einer Fortsetzung ist hoch. Moritz lächelt und gesteht: „Wir haben extra ein offenes Ende, sodass man weiter machen muss.“. Es sei alles nur eine Frage der Zeit – und natürlich des Geldes.
Alle Folgen findet man online hier: