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Ein guter Kotti oder ein böser Kotti?

Wenn zu den Google-Suchvorgaben die Wörter ‚gefährlich‘, ‚Junkies‘ und ‚Kriminalität‘ gehören, sagt es schon ein wenig über einen Stadtteil aus. Drogen-Dealer, Junkies und Obdachlose gehören seit jeher zum Bild des Kottis genauso wie Anwohner, Touristen und Partygänger. Doch in den letzten Jahren hat sich etwas verändert. Die Gewaltbereitschaft ist angestiegen. Neue organisierte Dealer-Gruppen und die so genannten ‚Antänzer‘ sind laut Medienberichten zu beobachten.

 Von Katharina Hensel

Die Polizeistatistik von 2016 belegt eine starke Zunahme an Strafdelikten, insbesondere bei Raub, (Taschen-)Diebstahl und Köperverletzungen (Raub: 01-10/2015: 55; 2016: 136 / Taschendiebstahl: 01-10/2015: 486; 2016: 806 / Körperverletzung: 01-10/2015: 272; 2016: 439). Die Folge ist eine stärkere Polizeipräsenz von Zivilstreifen und uniformierten Polizistinnen und Polizisten. Doch trotzdem bleibt der Kotti und die Orangenstraße in Berlin ein Trendgebiet und beliebt bei Einheimischen und vor allem den jungen Menschen und Künstlern.

Ist der Kotti denn nun wirklich ein so gefährlicher Ort? Oder täuschen die Medienberichte vielleicht? „Sicherlich hat sich die Lage verschlechtert am Kottbusser Tor. Das Kottbusser Tor ist seit Jahren Treffpunkt einer offenen Alkohol- und Drogenszene. Die Bewohner und Gewerbetreibende beklagen die für sie unerträglich hohe Belastung des Wohn- und Arbeitsumfeldes also nicht erst seit kurzem. Allerdings bewog der Anstieg der Kriminalität in 2015 die Akteure im Kiez dazu, nun vehementer Lösungen von politisch Verantwortlichen einzufordern. Die Zunahme der Kriminalität und des offenen Drogenhandels und -konsums wie auch die geringe Aufenthaltsqualität des Kottbusser Tores führt vor allem für die Bewohner zu einer als anhaltend empfundenen Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und des Sicherheitsempfindens. Dennoch darf man es sich nicht so vorstellen, als sei der Kotti gefährlich und eine ‚no-go-area‘, wie es in der Presse hieß. Denn das trifft keineswegs zu, zumal dieser Begriff hier falsch verwendet wird und nur dazu dient, die Lage zu dramatisieren“, so Dr. Laila Atrache vom Quartiersmanagement (QM) Zentrum Kreuzberg/Oranienstraße. Das QM arbeitet im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen in Quartieren mit besonderem Entwicklungsbedarf. Die Verantwortung und die Umsetzung liegt bei der Politik, aber das QM kann den Prozess unterstützend begleiten, indem es alle Beteiligten an einen Tisch zusammenbringt, damit sie in einem Dialog Lösungen erörtern und Maßnahmen vereinbaren können. Das QM kann zudem im Laufe eines Prozesses auch eine Fortführung der begonnenen Problemlösungsfindungen von der Politik einfordern und in Diskussionen darauf hinwirken, dass die sozialen Missstände gelöst und nicht verlagert werden.

Foto: Katharina Hensel
Foto: Katharina Hensel

„Ich kann aber sagen, dass die vielen Runden mit Polizei, Politik und Verwaltung nur wenig gebracht haben und alle Beteiligten weit entfernt sind von einer langfristigen, nachhaltigen Lösung.“, bedauert Atrache. Dies ist zum Beispiel auch an Plänen für die Umstrukturierung des Platzes beziehungsweise des Kottbusser Tores zu sehen: „Wir hatten vor drei Jahren mit dem Bereich der Polizei ‚Kriminaltechnische Prävention‘ einen Rundgang durch das Quartier, um auch diese Frage zu erörtern. Allerdings bleib es bei der Theorie. Langfristig muss es aber ein Konzept geben, das unter Einbeziehung aller Beteiligten entwickelt werden muss.“

 

Zusammenhalten statt Auseinandergehen

Die Bewohner bringt das allerdings nicht auseinander. Im Gegensatz, sie halten eher noch mehr zusammen. „Die Bewohner und Gewerbetreibenden am Kottbusser Tor sind sehr engagiert und setzen sich für eine für alle Zielgruppen vertretbare Lösung ein. Auf Diskussionen zum Kottbusser Tor erscheinen immer Hunderte, die sich einbringen und auch bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.“

Foto: Katharina Hensel
Foto: Katharina Hensel

Zudem entstehen verschiedene soziale Projekte, die das Zusammenleben und das Leben am Kotti weiterbringen sollen. „Zum Beispiel fördern wir über das Programm ‚Soziale Stadt‘ seit Oktober 2016 bis Ende 2018 die Maßnahme ‚Wir sind der Kotti‘, welche von Bewohnern, Akteuren und gemeinnützigen Vereinen umgesetzt wird.“ Mit diesem Projekt soll nicht nur das ‚Wir-Gefühl‘ gestärkt werden, sondern auch die Außenwahrnehmung mit all der Komplexität und Vielschichtigkeit positiv gestaltet werden, und so dem Negativimage entgegenwirken. Zudem soll die Partizipationsbereitschaft gefördert werden. Ein Slogan, Image-Nachbarschaftshefte mit Bildern und Texten über besondere Kuriositäten, Zahlen und Fakten, Sachliches und Persönliches rund um den Kotti, ein ‚Image-Paket‘ mit Buttons, Aufklebern und Postkarten oder das ‚Sensibilisierungs-Paket‘ für Gewerbetreibende, das das Zugehörigkeitsgefühl stärken soll – bei all dem steht das ‚Wir-Gefühl‘ im Mittelpunkt. Aber auch eine Touristensensibilisierung und andere Aktionen gehören zum Projekt, wie zum Beispiel eine Ausstellung mit dem Arbeitstitel ‚Augen-Blicke‘: „Sie soll verdeutlichen, dass am Kottbusser Tor viele Menschen mit sehr unterschiedlichen Geschichten und ihren Gesichtern leben, um deutlich zu machen, dass der Kotti ein lebenswerter, komplexer, vielfältiger Kiez ist und nicht nur ein Ort, der oftmals nur als Durchgangsraum und Konsumraum gesehen wird.“, so Dr. Laila Atrache. Dazu sollen großformatige Augen-Portraits von Anwohnerinnen und Anwohnern auf großen Planen an der Fassade des neuen Kreuzberger Zentrums angebracht werden.

Ein anderes Projekt ist die ‚Gemeinwesenorientierte Sozialarbeit am Kottbusser Tor‘: „Anhand erster praktischer Erfahrungen soll ein Handlungskonzept zur nachhaltigen Verbesserung der öffentlichen Aufenthaltsqualität vor Ort für Anwohner, Gewerbetreibende und andere Nutzende des Kottbusser Tores entwickelt werden. Die Umsetzung soll aufsuchende Sozialarbeit beinhalten.“ Ziele und Aufgaben des Projektes bestehen aus einer sozial verträglichen Nutzung des öffentlichen Raumes, einer Stärkung der Nachbarschaft, der Vermeidung sozialer Ausgrenzung und der Deeskalation von Konflikten. Zudem soll das subjektive Sicherheitsempfinden und die öffentliche Sauberkeit und Ordnung verbessert werden und zudem Hilfs- und Unterstützungsangebote für die überwiegend sozial benachteiligten Gruppen vermittelt werden. „Ein wesentlicher Punkt der Maßnahme ist die Beteiligung aller Zielgruppen, die in die Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen einbezogen werden sollen.“

Foto: Katharina Hensel
Foto: Katharina Hensel

Auch das neue Konzept der Polizei mit mobilen Einsatztruppen führt zur Verbesserung der Lage: „Im Gegensatz zu den polizeilichen Einsätzen, kennen diese Polizeibeamten natürlich ihre ‚Sorgenkinder‘, sprechen sie direkt bei Vergehen an, sind in den Nachtstunden unterwegs, erteilen Platzverweise und versuchen Kriminalität zu reduzieren.“ Dies ist keine langfristige Lösung, doch die Direktion 5 des Abschnitt 53 ist im Austausch mit Bewohnern, Akteuren und Gewerbetreibenden, um gezielt an die Problemlagen heranzugehen.

 

 

Medienberichte bleiben negativ

Trotz dieser und anderer Maßnahmen wird das Kottbusser Tor in den Medienberichten überwiegend negativ dargestellt. „Wir betrachten viele Berichte als bewusst in das Zentrum der Berichterstattung gestellt. Damit wollen wir nicht sagen, dass es keine Veränderungen gab, jedoch die Platzierung der Berichte zum Kotti, die täglichen Infos über den ‚gesetzlosen Raum‘ und die Instrumentalisierung jeden auch nur kleinsten Ereignisses führte insgesamt zu einem ‚falschen‘ Bild des Kottbusser Tores.“ Positive Berichterstattung von den Anstrengungen und Projekten, dem Zusammenhalt und dem Engagement der vielen Akteure bleibt hingegen aus. Auch das kurzzeitig verstärkte Interesse der Politik entpuppt sich eher als enttäuschend: „Die Einforderung von Lösungen durch Akteurinnen und Akteuren im Quartier, das steigende mediale Interesse und die Titulierung des Kottbusser Tores als ‚Kriminalitätsschwerpunkt‘ und ‚no-go-area‘ rückte das QM-Gebiet 2016 auch ins Zentrum der Bezirks- und Landespolitik. Nun sollte man sich fragen, ob es tatsächlich im Interesse der Politik war, hier Lösungen zu finden, die zu einer Verbesserung führen, oder ob der Wahlkampf im letzten Jahr eher ausschlaggebend war für das ‚plötzliche‘ Interesse. Wie dem auch sei, zurzeit redet keiner der politischen Verantwortlichen mehr von Lösungen für die Lage am Kotti. Und genau das gibt uns zu denken!“

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